: Immer mehr Tote in der Elfenbeinküste
Regierung Gbagbo spricht nach fünf Tagen Gewalt in Abidjan von 64 Opfern der französischen Eingreiftruppe. In Gbagbos Heimatregion sollen „ethnische Säuberungen“ im Gange sein. Entscheidung über UN-Sanktionen erneut verschoben
VON DOMINIC JOHNSON
Erst allmählich wird das Ausmaß der Gewalt deutlich, die die Elfenbeinküste in der letzten Woche erschüttert hat. Nach Tagen gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen französischen Soldaten und „patriotischen“ Milizen in der Metropole Abidjan sprach gestern ein Berater des ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo von 64 Toten und 937 Verletzten, allesamt Opfer französischer Kugeln. Die Ehefrau des Präsidenten, die als Einheizerin der kompromisslosen Fraktion in der Regierung gilt, besuchte Verwundete in Krankenhäusern und bekundete ihnen ihre Solidarität.
Die Kämpfe in Abidjan hatten am Samstagabend begonnen, als bewaffnete Milizionäre mit Unterstützung tausender Bewohner von Slumvierteln ins Stadtzentrum zogen, um als Reaktion auf die Zerstörung der ivorischen Luftwaffe durch die in der Elfenbeinküste stationierten französische Eingreiftruppe den „Befreiungskrieg“ gegen Frankreich zu führen. Ganze Straßenzüge und unzählige Privathäuser vor allem von Franzosen wurden verwüstet; an strategischen Stellen wie dem Flughafen, dem wichtigsten Hotel Abidjans „Hotel Ivoire“ und der nahe gelegenen Residenz des Präsidenten kam es zu Schusswechseln. Unabhängige Quellen bestätigen, dass die Franzosen – mit 50 Panzerfahrzeugen in Abidjan positioniert – mehrmals scharf in die Menge schossen.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sprach bereits am Sonntagabend von 410 Verletzten und einer „hohen Bilanz“ an Toten. Die Zahl der Toten wurde am Dienstag von der ivorischen Regierung mit 30 bis 50 angegeben, bevor es am Dienstagabend zu einem erneuten Feuergefecht vor dem „Hotel Ivoire“ mit mindestens 7 getöteten Zivilisten oder Milizionären kam. Nach diesem Vorfall begann die noch andauernde Massenevakuierung französischer Zivilisten und anderer weißer Ausländer durch die französische Armee. Hilfswerke gaben gestern die Zahlen der Verletzten mit rund 700 an. Die Versuche der Milizionäre, sich als Opfer einer blindwütigen kolonialen Soldateska darzustellen, müssen in Relation zu ihrer eigenen Praxis gestellt werden, politische Gegner und Angehörige zugewanderter Ethnien in Abidjan auszuplündern und umzubringen. Es gibt bisher keine Angaben darüber, in welchem Ausmaß solche „ethnische Säuberungen“ in den letzten Tagen in Abidjan durchgeführt wurden, da dort dieser Tage nur regierungstreue Medien erscheinen dürfen. In der Heimatregion von Präsident Gbagbos Bété-Volk ist ethnische Gewalt jedoch, glaubt man den nordivorischen Rebellen, bereits im Gange: Rebellenchef Guillaume Soro sprach am Dienstag von einem „Genozid“ gegen die nordivorischen Völker der Dioula und Mossi in der Region um die zentralivorische Stadt Gagnoa.
Nach UN-Angaben sind in der letzten Woche über 3.000 Menschen aus der Elfenbeinküste nach Liberia geflohen. Dort wird berichtet, dass arbeitslose Bürgerkriegskämpfer in die Elfenbeinküste ziehen, um sich dort für je 500 US-Dollar bei den Regierungstruppen zu verdingen.
Ein Ende der Gewalt in der Elfenbeinküste ist also trotz der leichten Entspannung der Lage in Abidjan nicht in Sicht. Vor diesem Hintergrund wiegt es umso schwerer, dass die von Frankreich gewünschte Verabschiedung einer UN-Resolution, die den Kriegstreibern der Elfenbeinküste Sanktionen ab 1. Dezember androht, am Mittwoch auf kommenden Montag vertagt wurde. Es war bereits die zweite Verschiebung, und sie geschah auf Betreiben Chinas, Russlands und Angolas. Alle diese Länder gelten als Waffenlieferanten Gbagbos.
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