piwik no script img

Los geht‘s in Kassel

Die Einwohner der hässlichen hessischen Stadt gründen einen Verein zur Image-Pflege

Vergangenen Sonntag hat sich im „Offstage“, einer verhutzelten Kultkneipe im Herzen Kassels, ein neuer Verein gegründet. Nicht, dass der Brauch der innovativen Vereinsbildung im kulturellen und kulinarischen Zentrum Nordhessens, wo die Parkscheibe und die Dickwurst erfunden wurden, eine besondere Tradition besäße; aber nun nahm sich ein Häuflein beherzter Damen und Mannsbilder ein wahres Herz und stampfte den „Los-Club e. V.“ aus dem qualmenden Asphalt Kassels.

Die acht gebürtigen Kasseler, Kasselaner oder Kasselenser zwischen 21 und 88 Jahren reagieren durch ihr Engagement auf eine Kampagne, die der Hessische Rundfunk vor kurzem gegen das urbane Kleinod Kassel angezettelt hatte. Kassel sei „ein Unort“, wurde im Radiosender hr 1 in der Sendung „Der Tag“ verbreitet, und damit nicht genug. Ferner kamen Passagen aus einem Gutachten des Stadtgeografen und Teilzeitautors Dr. Peter Köhler zum Vortrag, die an Prägnanz und kühler Analytik nichts zu wünschen übrig lassen: „Die Menschen“, heißt es da, „sind grob und ungeschlacht wie die Nachkriegsbauten, nur dass die Bauten menschlicher wirken.“ Oder auch: „Öffnen sie“, also die „Menschen“ beziehungsweise Kasseläner, „statt des Mundes den anderen After, so kommt das ‚Kasseler Wörtchen‘ heraus. Da ist es logisch, dass zu ihren liebsten Futtermitteln Abfall zählt, den sie ‚Weckewerk‘ nennen, eine ungeformte, bräunliche Masse, die aussieht, als sei sie recycelt worden.“

„Gegen diese infame Verleumdung mussten wir etwas unternehmen“, sagt Prof. Peter L., der selbst ernannte Vorsitzende des „Los-Clubs“. Er erörtert Profil und Ziel des Aufsehen erregenden Vereins: „Wir, allesamt Menschen aus und in Kassel, gehen in die Offensive und machen allerhand los. Daher der Name.“ – „Und nicht zu knapp!“, pflichtet ihm Heike W. bei. „Am Wochenende startet das erste Weckewerk-Wettessen auf dem Friedrichsplatz. Das Fernsehen will auch kommen. Gedacht ist an eine Liveübertragung in voller Länge.“

Die wackeren Weckewerk-Liebhaber planen noch erheblich mehr, um den Ruf Kassels ins rechte Licht zu rücken und zu festigen: Kulturevents wie Stadtwappensticken und Hardcorehäkeln, Kulinaraktionen wie Frikadellenweitwurf und „Suppeumrühren nach Hausfrauenart“ und andere spektakuläre Initiativen. „In den kommenden Wochen werden wir uns regelmäßig vor dem Grab von Wilhelm Zwos Pudel Erdmann versammeln und moderne monarchistische Lieder singen. Dabei halten wir unsere Personalausweise in die Luft, damit jeder sehen kann, dass wir zu unserem Los stehen.“ Peter L. zwinkert mit dem rechten Auge: „Es ist klasse, Kasseler zu sein. Unser Los muss sich wieder lohnen!“ – „Und hinterher“, ergänzt Klaus B., „trinken wir im ‚Offstage‘ zusammen eine Flasche Bier. Von hier. Versteht sich.“

Dass sich die mutigen Mitglieder des „Los-Clubs“ ihr Knallhütte-Pils aus Baunatal schmecken lassen werden, dürfte außer Zweifel stehen. Wenn ihnen nicht schon wieder ein hr-Redakteur in die höllische Hopfensuppe spuckt … JÜRGEN ROTH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen