Die durchsetzungsfähige Pathetikerin

Von der „Witwe“ zur „Nachfolgerin“: Ulla Berkéwicz ist nun alleinige Chefin im Ring beim Suhrkamp Verlag

Sie gehört zu den kulturkonservativen Grunderzählungen in diesem Land: die These, dass es keine interessanten Verlegerfiguren mehr gibt. Die Verlage, so besagt diese These, mutieren immer mehr zu seelenlosen Buchproduktionsanstalten; und die Verleger, so geht die These weiter, gerieren sich immer mehr wie stinknormale Kaufleute, die genauso gut auch Kaugummi verkaufen könnten. Diese These hat nun an Evidenz verloren. Seitdem sich der Suhrkamp Verlag am Dienstag von dem als Nachfolger des verstorbenen Patriarchen Siegfried Unselds erkorenen Günter Berg getrennt hat, ist Ulla Berkéwicz alleinige Chefin im Ring in Deutschlands angesehenstem Verlagshaus (siehe Seite 17). Bei allem, was man über sie sagen kann und was auch über sie gesagt wird: Eine stromlinienförmige Managerin ist sie gewiss nicht.

Ulla Berkéwicz hat in den vergangenen 20 Jahren die wohl erstaunlichste Karriere hingelegt, die man zuletzt im deutschen Literaturbetrieb beobachten konnte. 1951 wurde sie als Ursula Schmidt in Gießen geboren. Zunächst war Ulla Berkéwicz Schauspielerin mit Engagements an renommierten Bühnen. Seit ihrem Debüt „Josef stirbt“ von 1982 trat sie als Schriftstellerin hervor und erhielt seitdem jubelnde Kritiken, aber auch so vernichtende Verrisse, dass Tilman Moser in diesem Zusammenhang den Begriff von „Literaturkritik als Hexenjagd“ prägte.

Im August 1990 heiratete Ulla Berkéwicz dann Siegfried Unseld. Seit dessen Tod vor gut einem Jahr wird sie in den Feuilletons immer wieder als „die Witwe“ tituliert – eine Bezeichnung, die nicht immer positiv gemeint ist, von Ulla Berkéwicz selbst aber auch immer wieder tatkräftig unterfüttert wird. Als Unseld im Oktober posthum die Ehrenbürgerschaft der Stadt Frankfurt verliehen wurde, verkündete sie mit einem für intellektuelle Kreise höchst ungewohnten theatralen Pathos, dass der Verlag in Zukunft „in seinem Sinne, nach unseren Kräften“ geführt werden würde. Ende Oktober sagte sie im Spiegel, sie sei von Siegfried Unseld dazu „erzogen“ worden, einmal den Suhrkamp Verlag zu übernehmen. Ihre Nachfolgeansprüche begründet Ulla Berkéwicz also damit, in seinem Auftrag und an seiner statt zu handeln. Ob das ausreichen wird, einen komplexen Verlag zu führen, der zudem in den vergangenen Wochen schwere Fehler gemacht hat (man denke an Ted Honderichs Buch „Nach dem Terror“), wird sich zeigen.

In einem autobiografisch geprägten Text für die ihr in den vergangenen Wochen auffällig verbundene FAZ hat Ulla Berkéwicz vor gut drei Jahren den Satz geschrieben: „Denn unsere Wirklichkeit ist nur eine bescheidene Erfindung von uns im Vergleich zu dem, was in unserer Vorstellungskraft möglich ist.“ Noch im Spiegel-Gespräch hat sie betont, wie wichtig ihr die Vorstellungskraft ist. Aber auch in der bescheidenen Erfindung der Wirklichkeit hat sie sich nun als ziemlich durchsetzungsfähig erwiesen. DIRK KNIPPHALS