: Folklore, schwarz-rot-gold
Die Zukunft des Konservatismus liegt weder im Patriotismus noch in der Verteidigung der Besitzenden. Sondern im Willen, gesellschaftliche Veränderung zu entschleunigen
Plötzlich ist es wieder da, das alte Dilemma – die Union und die Konservativen. Angela Merkel spricht vage vom Patriotismus, über den man nun reden müsse, und hofft, dass der Trennungsstrich zu Martin Hohmann den Konservativen nützt, die jetzt wieder, unbesorgt über antisemitische Tendenzen, ihrem Hobby frönen können, eben dem Konservativismus.
In der Besorgnis steckt schon die Reduktion. Konservative sind für Angela Merkel Menschen, die die eigene Nation sehr weit nach vorn stellen, und gute Konservative sind sie dann, wenn sie dabei niemanden verletzen – statt schwarz-weiß-roter schwarz-rot-goldene Folklore eben. Dabei ist die Bindung des Konservativismus an die Nation und ihre kulturelle Mission eine unzulässige Verkürzung seiner Ideenwelt, die geistesgeschichtlich die längste Zeit ein Gegner des Nationalstaates in Deutschland war. Gentz und die Gebrüder Gerlach vertraten den Status quo gegen die revolutionären Ansprüche der nationalen Bewegungen. Sie verteidigten den Universalismus einer europäischen Rechts- und Friedensordnung gegen die Sprengkraft des heraufziehenden Nationalismus. Und da diese Sprengkraft auch die deutsche Staatenwelt zu zerstören drohte, waren die Konservativen zugleich die Verteidiger des Regionalismus wie des Föderalismus. Die Einigung der Nation war eine Angelegenheit der Linken und der bürgerlichen Mitte, die sich in der Paulskirchenbewegung zusammenfanden. Die Konservativen fürchteten den Nationalstaat französisch-revolutionärer Prägung. Erst nach 1870 ging in Deutschland der Konservativismus mit dem Nationalismus jene unheilige Allianz ein, die ihn schließlich in die Harzburger Front und zu Adolf Hitler führte. Wahre Konservative wie der Preuße Fontane standen dieser Verbindung von Anfang an skeptisch gegenüber.
Nach der Katastrophe Hitlers blieben alle konservativen Gedanken stigmatisiert und tabu-verdächtig, eben NS-krank. Das Bündnis, das ein Teil der alten Eliten mit dem braunen Trommler einging, konnte auf ihre Gedankenwelt nicht ohne Auswirkung bleiben, und so hat Joachim Fest Recht, wenn er in seinem Buch „Das Gesicht des Dritten Reiches“ feststellt: „Längst aller humanistischen und religiösen Wertnormen entkleidet, aber auch ohne jenes kritische Traditionsbewusstsein, das die eigentliche Rechtfertigung der echten konservativen Position ist, besaß sie keine Lebendigkeit und keine zukunftstragenden Ideen mehr, sondern nur noch das starre, an die Erinnerung einstiger Vorrechte geklammerte Verlangen, sich gegenüber der Zeit einzuschanzen und die Stunde abzuwarten. Der Konservativismus jener Richtung und Phase hat keine gedankliche oder tatsächliche Wirkung vorzuweisen, die nicht in die von ihm beschworene Katastrophe eingegangen und davon aufgezehrt worden wäre. Unbeweglich stand er immer an den gleichen Fronten, defensiv lief alles auf die Verneinung der Revolution von 1789 mit ihren politischen, gesellschaftlichen und sozialen Folgeerscheinungen hinaus, während offensiv nie mehr als das Konzept des nationalistischen Machtstaates sichtbar wurde.“
Die Gründung der Christlich-Demokratischen Union nach 1945 konnte deshalb keine konservative Parteigründung sein. Sie war der Zusammenschluss bürgerlicher wie nichtbürgerlicher Kräfte unter einem ethischen Signet. Die Gründung der CDU war eine Absage an alle vorindustriellen Werthaltungen und Strukturen. Sie war der endgültige Durchbruch der demokratischen Industriegesellschaft in Deutschland und damit eher ein Neubeginn als eine Wiederaufnahme verschütteter Traditionen. Versprengte Konservative schließlich fanden über Arnold Gehlen den Weg zur technischen Rationalität einer weitgehend egalitären demokratischen Gesellschaft. Die CDU hatte Teil an der weltweiten Modernisierung auf marktwirtschaftlicher Basis. Sie war die Partei, die das Projekt der Moderne vollenden und die demokratische Industriegesellschaft in Deutschland befestigen sollte. Europa, der gemeinsame Markt, Hochtechnologie, die Individualisierung und Mobilisierung gesellschaftlicher Milieus waren und sind Ziele dieser Politik. „Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren“ – diese Formel von Franz Josef Strauß ist zwar geistesgeschichtlich nicht haltbar, bezeichnet aber griffig jene das Projekt der Moderne vorantreibende Haltung, die die Verluste des Fortschritts ausklammert, die zu thematisieren Aufgabe des Konservativismus ist.
Lange schaute die CDU nur auf die Gewinner dieses Prozesses und war blind für die kulturellen Verluste, die das Geschehen begleiteten. Sie gab das Ästhetische verloren, obwohl gerade dies einmal die Domäne des Konservativen war. Die Aversion gegen das Zufällige, das Bunte und das Vielgestaltige sowie ihr Gegenstück, die Vorliebe für das Einheitliche, Ubiquitäre und Universelle, waren früher einmal ein Kennzeichen der Linken. Inzwischen sind sie zu einem Privileg der rechten Mitte avanciert, die sich Forsthoffs Diktum zu Eigen gemacht hat: „Der Geist der Technik, auf nichts anderes bezogen als auf deren Perfektion, schließt individuelle Freiheit grundsätzlich aus.“ Während die Linke die Rolle der Romantiker, Maschinenstürmer und Nachzügler der Weltgeschichte übernahm, sahen sich die Konservativen in der CDU auf die Seite der Industriegesellschaft gedrängt, der sie so lange misstrauisch gegenübergestanden hatten.
Doch diesem Dilemma entkommen die Konservativen nicht durch die Anrufung des Patriotismus. Die offene nationale Frage ist gelöst, eine Irredenta nicht zurückgeblieben, die politischen Ziele Alfred Dreggers und Manfred Kanthers haben sich mit der Wiedervereinigung erfüllt, einer nationalkonservativen Strömung fehlen Anliegen und Basis. Doch die alte konservative Skepsis gegenüber der Moderne gibt es noch immer. Sie ist ausgewandert zu den Grünen, in die Gewerkschaften, zu den Verteidigern der klassischen Bildung und des dreigliedrigen Schulsystems, zu den Gegnern von Abtreibung und Selbstbestimmung, zu den Kritikern der Kernenergie wie den ästhetischen Widersachern der modernen Windmühlen. Nur bei Zuzug und Einwanderung decken sich nationalkonservative Sentimentalitäten noch mit der klassisch-konservativen Furcht vor Veränderung, Auflösung und multikulturellem Identitätsverlust. Manches davon ist in der CDU zu Hause, anderes nicht. Seehofer ist ein Konservativer, Merz ist es nicht, jedenfalls nicht mit seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Die Causa Hohmann ist für eine zeitgemäße konservative Bewusstseinsbildung in der Union ohne Bedeutung, da sie nur in die Vergangenheit weist. „Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird man am ehesten konservativ sein, nicht unbedingt in der Absicht, die Interessen der Besitzenden zu schützen, sondern um die Geschwindigkeit der technischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu drosseln. Denn stärker noch als Ungerechtigkeit quält uns das Tempo der Veränderung.“ In dieser Feststellung des französischen Aphoristikers Garnier liegt die Zukunft eines modernen Konservativismus. ALEXANDER GAULAND
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