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Die überfällige Beichte

Totensonntag – Zeit für neue Wiener Miniaturen aus dem Graubereich zwischen Leben und Tod, zwischen hier und „dort“

VON MARK SARG

Das amüsante Geschöpf

Ein amüsantes Geschöpf in einem lila Unterrock erzählte den Leuten die herrlichsten und wunderbarsten Witze und riss ihnen, während sie hellauf und unbändig lachten, mit einer eigenen Spezialmethode blitzschnell die Köpfe ab – die es dann in riesigen Regalen in seinem Schlafzimmer aufreihte.

Und Nacht für Nacht amüsierte es sich vor dem Einschlafen königlich über die immer noch vergnügten Gesichter.

Die aussichtslose Situation

Miss Jutta Hundeschnabel erwachte in einer ausweglosen Situation. Der Dorfpfarrer, Pastor Ascot Gamsbart, saß auf ihrem Gesicht und drohte, ihr Blickfeld nicht eher zu räumen, als bis sie ihre längst überfällige Beichte abgelegt hätte. Da ihr ihre Aussicht einiges wert war, zeigte sie rasch Einsicht und beichtete ihm alles, was er nur – erwartungsvoll gierend – hören wollte.

Der Nachttopf und die Leiche

„Ich verbitte mir, von dir benutzt zu werden!“, wies ein Nachttopf eine Leiche ab. Da schlug diese beleidigt den Sargdeckel zu und dachte: „Es geht auch ohne!“

Die wankende Gestalt

Zunächst kaum glauben wollte Mrs. Gwirsky Fogoscher, was sie spätabends in ihrem Schlafzimmer entdeckte: eine umherwankende Gestalt! Auf unerklärliche Weise konnte sie von ihr nicht viel mehr wahrnehmen, als dass sie wankte. Unablässig, ohne eine einzige der an sie gerichteten Fragen zu beantworten.

„Mein Gott, das ist ja nicht mit anzusehen!“, rief Mrs. Fogoscher nach einiger Zeit aus. „Dieses Gewanke macht mich noch seekrank!“ Und sie bot der Gestalt ihr Bett an, was diese wortlos annahm, während sie selber sich auf ihre Couch im Wohnzimmer zurückzog.

Als sie morgens nachsah, war die Gestalt mitsamt dem Bett verschwunden. „Da soll einem nicht die Gastfreundschaft ins Wanken geraten!“, seufzte sie und ging in die Küche, um sich ihr Frühstück zu bereiten.

Die Demoiselle mit dem Bierbauch

Demoiselle Beatrice Weinhansl war begehrtes Mannequin im renommierten Modesalon der Madame Astrid Tutzinger. Zum Erstaunen aller bekam sie jedoch allmählich etwas, was wie ein Bierbauch aussah.

Mit dem rüden Hinweis, sie möge weniger saufen und dafür mehr laufen (nämlich auf dem Laufsteg), wurde sie von Madame verwarnt. Es half nichts, der Bauch gedieh weiter und weiter, sodass sie schließlich „im besten Einverständnis“ entlassen wurde. Das Merkwürdige war: Sie trank nie Bier.

Das Stiegenhaus in den Himmel

Auf der Wanderung durch einen geheimnisvollen Ort gelangte Monsieur Jean Darm zu einem Stiegenhaus, das laut Ankündigungstafel direkt in den Himmel führte.

Schon wollte er sich auf den Weg dorthin begeben. Als er aber die wahrhaft ins Unendliche führenden steilen Treppen bemerkte und da er nicht unbedingt der Beste zu Fuße war, entschied er sich stattdessen doch lieber, gleich daneben zur Hölle zu fahren.

Denn dorthinab gab es einen Lift!

Die Entschlackung auf dem Berge

Erschöpft kam abends eine Bäuerin heim, ohne etwas gefangen zu haben. Darob machte der Bauer ihr solche Vorhaltungen, dass sie aus dem Hause und auf den nächsten Berg flüchtete. Dort erklomm sie die Spitze und entschlackte sich vollständig. Seitdem ist Frieden über dem Ort eingekehrt.

Die grausige Wahrheit

Als „hyperaktive Mutter ohnegleichen“ wurde jahrelang Mrs. Ilsegrim Raudaschl allerorts mit Kopfschütteln bedacht, weil sie von früh bis spät mit dem Kinderwagen hektisch durch die Straßen raste, ohne irgendwo auch nur geringfügig zu verweilen.

Die grausige Wahrheit brachte jedoch erst ihre Nachbarin, Mrs. Harriet Schaumschläger, ans Licht, die trotz ausdrücklicher Untersagung einmal nicht mehr anders konnte, als „das liebe Kleine“ noch rasch zu liebkosen, ehe es mit der Mama eiligst im Haus verschwand – und statt desselben das säuberlich abgetrennte und konservierte Haupt von Mr. Sydney Raudaschl im Wagen fand!

Der sakrale Rülpser

Hochwürden Adamiro Hundsfott rülpste so laut, dass die Teilnehmer des Hochamtes erschrocken zusammenfuhren und sich bekreuzigten.

Als er sie aber zum Abschied auf Lateinisch segnete, war die Welt wieder völlig in Ordnung für sie – bis zum nächsten Rülpser.

Die ernste Konsequenz

oder: Der spaßige Selbstmord

Professor Sigisberto Ranftl nahm alles übertrieben und bitterernst in seinem Leben. Vor allem auch sich selbst. Dies manövrierte ihn immer mehr in sein scheinbar auswegloses Dilemma, das schließlich eine ernste Konsequenz nach sich zog: Er entschied sich für den Freitod.

Allerdings – zum Ausgleich für die Mühsal seines Lebens und um sich und der Welt zum Abschied zu beweisen, dass er nicht gänzlich frei war von Humor – auf eine höchst „spaßige“ Weise: Er stürzte sich, als Pinguin verkleidet, vom Turme jener Kirche, in der ihm einst die heilige Taufe widerfahren war.

Der geheimnisvolle Vorhang

Auf Schloss Drubbslemoor in Henglewood wirkt seit geraumer Zeit ein Phänomen: Hinter einem Vorhang in der Gemäldegalerie sind die Umrisse von etwas zu erkennen, was nicht erkennbar ist. Legionen von Parapsychologen und Wissenschaftlern aller Art, die bisher um des Rätsels Lösung nach Henglewood pilgerten, scheiterten durchweg an einem Umstand: Der Vorhang ist unberührbar!

Die spanische Sanktion

Schornsteinfeger Nikolaus Schloobischer unternahm eine ausgedehnte Spanienrundreise. Er hatte jedoch seine Frau zu Hause vergessen. Dies wurde ihm von den hiesigen Behörden derart übel genommen, dass sie ihm so lange die Heimreise untersagten, bis Frau Käthe Schloobischer mit einer Trennung formell einverstanden sei. Da sich diese aber beharrlich weigert, sitzt ihr Mann immer noch in Spanien fest. Diplomatische Appelle – selbst des Heiligen Stuhls – blieben bis dato absolut erfolglos.

Die lachende Leiche

Eine Leiche, die zu einer solchen geworden war, weil sie ihr Ehemann versehentlich im Streit erschlagen hatte, bekam eines Nachts, als sie sich dessen entsetzten Gesichtsausdruck nach Erkennen seiner Tat wieder vergegenwärtigte, einen derart boshaft-hysterischen Lachanfall, dass sich ihr Sarg nicht anders mehr zu helfen wusste, als sie mit seinem Deckel ein zweites Mal zu erschlagen, um wenigstens eine Zeit lang in Ruhe schlafen zu können.

Der Tanzunterricht

Mademoiselle Nina Ramschmaus trampelte auf dem doppelten Boden ihres Modesalons herum, bis sie durchbrach. Dies dauerte nicht allzu lange, denn sie war eine temperamentvolle Elefantin.

Im Kellergewölbe wartete schon ihr spanischer Tanzlehrer auf sie. Mit der Aufmunterung: „Jetzt sind Sie reif für Kastagnetten!“, setzte er seinen Flamenco-Unterricht fort.

Eine charmante Leiche

Dr. med. Notorius Sargschlepper hatte ein geräumiges Kellerabteil frei und gedachte, dieses an eine Leiche zu vermieten. „Kann ich gleich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden“, überlegte er im Hinblick auf seine wissenschaftlichen Forschungen und gab eine Annonce im Friedhofsblatt auf.

Bald darauf empfing er auch schon eine ausgesprochen charmante Bewerberin, von deren Eleganz er wirklich beeindruckt war. „Eigentlich schade um die!“, musste er denken, was er aber sogleich seinen ursprünglichen Interessen unterordnete.

Die Leiche ihrerseits fühlte sich überaus wohl in seinem behaglichen Wohnzimmer, und während sie mit ihm Kaffee trank, reifte in ihr die Erkenntnis: „Standesbewusstsein hin oder her – eigentlich würde ich hier oben viel lieber residieren. Und billiger könnte ich es noch dazu haben.“

Wie beiläufig nahm sie ihren Schal von Dior ab, wartete, bis ihr „Vermieter“ umständlich seine Pfeife stopfte, und strangulierte ihn schließlich in der Absicht, ihn in den Keller zu verfrachten. Als sie auf dem Weg dorthin neugierig in der Bibliothek Halt machte und seine umfangreiche einschlägige Literatur entdeckte, änderte sie jedoch ihre Planung gründlich. „Wie faszinierend! Immer schon wollte ich Medizin studieren!“, rief sie begeistert, schleppte ihn in die Küche und begann ihn voller Eifer zu sezieren.

Einer von denen

„Einer von denen“ besuchte einen Maskenball und wurde aufgrund seiner Verkleidung nicht erkannt. Als er sich am Schluss demaskierte, fielen die Leute reihenweise in Ohnmacht und mussten ärztlich versorgt werden. „Nur einer von denen ist imstande, einen derartigen Skandal zu verursachen“, lautete tags darauf übereinstimmend das Urteil der Presse.

Da der Betreffende zur Gruppe der „Unaussprechlichen und Unbeschreiblichen“ gehört, kann auch hier leider nichts Weiteres über ihn berichtet werden.

Der verlorene Arm

Sir Edelhirsch Lobster fand auf der Straße einen Arm. Er wollte ihn aufheben, um ihn im Fundbüro abzugeben, da merkte er, dass ihm selbst der linke Arm fehlte und es ebendieser war, der auf dem Boden lag.

„Merkwürdig. Wann habe ich denn den verloren?“, wunderte er sich. „Einerlei. Hauptsache, ich habe ihn wieder! Gut, dass ich nicht auf dem Fundbüro war. Die hätten mich doch glatt für verrückt gehalten.“

MARK SARG lebt unter seinem auch hier wieder nicht verratenen „echten“ Namen in Wien. Sein luxuriös ausgestatteter erster Geschichtenband, „Der Papst im Koffer“, vor Jahr und Tag an dieser Stelle bereits für Weihnachten 2003 angekündigt, erscheint mit einjähriger Verspätung nun endlich tatsächlich im Wahine Verlag (158 Seiten, zirka 24 Euro). Alte Bestellungen haben ihre Gültigkeit bewahrt. Wie auch das Angebot an taz-LeserInnen: Wer bis Weihnachten ein Exemplar ordert (Wahine Verlag Dr. Roland Kretsch, Farnstraße 44, 44789 Bochum, oder über www.wahine.de ), erhält das Buch als signierte Vorzugsausgabe. Der Papst im Koffer? Zugreifen!

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