… und sonst?: Islamisten unter Beobachtung
Ausgelöst durch den Mord an dem Regisseur Theo van Gogh und die folgenden Anschlägen auf Moscheen und Kirchen in den Niederlanden, tobt in Deutschland eine Debatte über Islam, Islamismus und Integration. Verhältnisse wie in Holland seien in Berlin nicht zu befürchten, sagt Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und warnt vor übersteigerten Reaktionen. Erschrocken sei er vielmehr über die Diskussion, bei der nicht hinreichend zwischen den wenigen Islamisten und den vielen gemäßigten Muslimen unterschieden werde.
In Berlin leben etwa 220.000 Muslime. Rund 4.000, schätzt der Verfassungsschutz, sind Islamisten. Nur wenige – die Rede ist von rund 50 – gelten als gewaltbereit.
Die Berliner Islamisten organisieren sich in Vereinigungen wie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görus (GMG) – mit rund 3.000 Anhängern die größte islamistische Organisation in der Stadt. Sie will die Türkei zu einem islamischen Staat machen. Milli Görus wird vom Verfassungsschutz beobachtet, wenngleich es keine Erkenntnisse gibt, dass die Organisation den Gottesstaat mit Gewalt errichten will. Er halte Milli Görus deshalb für eine Organisation, mit der „ein Dialog möglich und erforderlich ist“, so Körting.
Bei den anderen vom Verfassungsschutz beobachteten islamistischen Gruppierungen gibt es keine klare Abgrenzung zur Gewalt. Das Geflecht dieser zum Teil nicht mehr als 20 bis 50 Anhänger zählenden Organisationen ist schwer zu durchschauen.
Die Älteste ist laut Verfassungsschutz die 1928 in Ägypten gegründete Muslimbrüderschaft. Bundesweit soll sie rund 1.200 Anhänger haben. Des Weiteren werden der 2001 in Deutschland verbotene Kalifatsstaat und das al-Qaida nahe stehende „Mujahidin-Netzwerk“ genannt, dass seine Wurzel in Afghanistan und Pakistan hat. Der „Hizb Allah“, Hauptsitz im Libanon, werden in Berlin rund 50 Anhänger zugerechnet. Ähnlich viele Mitglieder soll die gleichfalls aus dem Libanon stammende „Hizb ut-Tahrir al islami“ zum Zeitpunkt ihres Verbotes Anfang 2003 in Berlin gehabt haben. Kaum größer soll die „Islamische Widerstandsbewegung Hamas“ in Berlin sein. „Hamas“ tritt für die Befreiung Palästinas ein.
Bund und Länder hätten einen „guten Überblick“ über den islamistischen Extremismus in Deutschland, sagt Körting. „Aber dieser Überblick schließt leider nichts aus“. Im Klartext: Wenn Teilbereiche solcher Gruppierungen terroristische Anschläge im In- oder Ausland planen oder unterstützen, ist dies für die Sicherheitsorgane schwer auszumachen – auch wenn es in Deutschland immer wieder Fälle gab, wo die Behörden aufgrund von Hinweisen rechtzeitig tätig werden konnten. Im Rahmen eines vom Generalbundesanwalt geführten Ermittlungsverfahren sind in Berlin zum Bespiel im März 2003 die Neuköllner Al-Nur-Moschee und mehrere Wohnungen durchsucht worden.
Koordinierungsrichtlinien und neue Sicherheitsgesetze haben laut Körting viel dazu beigetragen, den Informationsfluss zwischen den Behörden zu verbessern. Auch Geldflüsse und Telefonverkehr könnten leichter überwacht werden. Aber wenn sich eine terroristische Organisation, so wie die Atta-Gruppe in Hamburg, völlig nach außen abschottet, sei diese von Verfassungs- und Staatsschutz kaum zu orten. „Es ist ein Ritt auf Messers Schneide“, sagt der Innensenator. PLUTONIA PLARRE
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