DIE BEWERBUNGSMAPPE: Aufstrebend-elegant
Als ich den Laden betrete, schießen mir zwei Worte durch den Kopf: Überangebot und Wohlstandsgesellschaft. Angesichts ungezählter Kuverts, Mappen und weiterer Papierkreationen in allen erdenklichen Formen, Farben und Geschmacksniveaus wird mir klar, dass es sich bei der „konsumatorischen Entscheidungsnot“, wie es in der BWL so schön heißt, um eine Problematik handelt, die auch den Kauf einer Bewerbungsmappe betrifft.
Die Seitenausrichtung „elegant“ oder „schnittig“, kombiniert mit diversen Innovationen aus der aufregenden Welt der Klemmschienen, lassen den Bewerber, so die Produktinformation, idealerweise auf Anhieb „sympathisch-sozial“ und/oder „aufstrebend-engagiert“ erscheinen. Auf den entschlossenen Griff zur engagierten Variante und die aufwallende Begeisterung über die eben bewiesene Entscheidungskraft folgt massive Indignation: Ist doch verblüffend, wo man überall einen „aufstrebend-engagierten“ Eindruck anvisieren kann, denke ich, während ich mich durch Bewerbungsmappen für die Kfz-Branche, die Medienwelt und den Einzelhandel wühle. Während ich fasziniert die „carriere-map Forstwirtschaft“ studiere, die auf einer Beilage dem Bewerber rät, aus Originalitätsgründen in seinen Unterlagen auf die Farbe Grün zu verzichten, fällt mein Blick auf ein Hinweisschild an der Ladenwand. „Fragen hilft!“ steht da zu lesen.
Engagierten Schrittes nähere ich mich der Verkäuferin. „Ich interessiere mich für Bewerbungsmappen“, sage ich. „Und ick interessier mir für Zierfische!“, sagt sie und lächelt, als hätte sie mir eine besondere Freundlichkeit erwiesen. „Ach“, sage ich, und zeige mein 32-Zähne-„Bei-Ihnen-ist-der Kunde-also-wirklich-noch-König“-Lächeln. „Dann haben Sie ja die Expertise für mein Problem. Wozu tendieren Sie bei dieser Vielfalt? Zu elegant oder schnittig?“
FRAUKE SCHMICKL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen