: Lieblinge der Hairstyling-Branche
„Cinema“ präsentierte jeden Monat die DVD-Charts der Hoffnungsträger. Nun ist Schluss
Der Drang, öffentlich seine Perversionen zu gestehen, hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen, und deshalb habe ich das Outen lange so heftig gescheut wie Adrian Monk Krümel unterm Sofa, aber nun muss es raus: Ich lese – Talkshow-Casting-Offiziere, aufgemerkt! – jeden Monat die Zeitschrift Cinema.
Ich habe mich in in diesem Patientenkollektiv immer sehr wohl gefühlt, obwohl ich noch nie einem anderen Mitglied begegnet bin, jedenfalls würde es mich doch sehr schmerzen, diesen Halt zu verlieren. Dieser Schlag des Schicksals droht jetzt, denn in seiner Dezemberausgabe verzichtet das in Hamburg-Pöseldorf verlegte Blatt zum ersten Mal seit vielen Monden auf die Rubrik, die mich zum Cinema-Junkie gemacht hat.
Bisher fand sich auf einer mit „DVD-Charts“ überschriebenen Doppelseite jeden Monat eine Spalte, die – und hiermit lehne ich mich keineswegs weit aus dem Fenster – die geilste Leser-Blatt-Bindung der Nachkriegsgeschichte garantierte. „Die Lieblings-DVDs der Getränke-Branche“, „Die Lieblings-DVDs der Hairstyling-Branche“ oder auch, im subtilen Variieren sind die bei Cinema ohnehin ganz groß, „Die Lieblings-DVDs der Food-Branche (Snacks)“ – so lauteten die Überschriften. Jedes Mal kamen hier drei Menschen zu Wort, um die sich sonst kein Medium kümmert, Menschen, die sonst nichts zu lachen haben, weil sie unbemerkt hinter der Kulissen ackern, damit der Standort Deutschland stets auf Zack ist.
Zudem sind ihnen Ruhm und Ehre bisher versagt geblieben, weil sich die da ganz oben für sie mysteriöse Berufsbezeichnungen ausgedacht haben. So muss es Oliver Dangmann ergangen sein, der laut meiner Leib-und-Magen-Zeitschrift als „Group Brand Manager Retail“ bei einer McCain GmbH schuftet, oder Carsten Kramer, „Eventmanager West Allied Domecq Spirits and Wine Deutschland“. Cinema gab ihnen wenigstens die Chance, einen Teil ihrer Persönlichkeit zu entblättern: Der Gruppenbrand-Experte Dangmann nennt als Lieblings-DVD „Der Herr der Ringe“, beim Westalliierten Kramer – im Übrigen ein ganz großer Individualist, schließlich hat er als Einziger den „Kreuzigungsschocker“ „Die Passion Christi“ in seiner Liste – ist die Verfilmung der Tolkien-Schwarte immerhin vierte Wahl.
Wer wissen will, wie unsere großen Hoffnungsträger ticken, kommt sowieso nicht umhin, die Cinema-Hefte der letzten Monate aufzuarbeiten. „Der Herr der Ringe“, das beispielsweise haben meine umfangreichen Auswertungen ergeben, steht auch bei Masuda Dakik („Chef de Groupe Styling, L’Oreal Paris“) und Manfred, pardon: Diana Sexauer („Consumer Marketing International/Innovation Management, Wella AG“) ganz vorn, und bei Norbert R. Meinike (irgend was bei Freenet) hat sich diese Scheibe immerhin noch Rang 3 erkämpfen können.
Damit Junkies wie ich die Listen immer wieder mit Gewinn lesen können, hat sich die Cinema-Redaktion für einen Film möglichst viele unterschiedliche Beschreibungen ausgedacht. In Dangmanns und Meinikes Hitliste steht hinter „Der Herr der Ringe“ in Klammern die Erläuterung „Fantasy-Trilogie“, bei Kramer „Fantasy-Meisterwerk“, bei Sexauer „preisgekrönte Fantasy-Saga“ und bei Dakik „Oscar-prämiertes Epos“.
Was sollen sie nun machen, wenn sie nirgendwo mehr ihre Stimme erheben können, all die Senior Vice Presidents, Junior Consultants und Heads of mancherlei? Mit einem gewissen Schauder muss ich darauf hinweisen, dass einige der intensiven DVD-Gucker tötungslastige Filme schätzen, Dr. Monika Schmidhofer zum Beispiel, „Marketing Manager funny-frisch, Intersnack-Vertriebs-GmbH“, und Robert Trenkel, der uns als „selbständiger Berater für Produkt- und Markenkommunikation“ vorgestellt wird. Beide haben sie „Kill Bill, Vol. 1“ in ihre Top Five gevotet, und die Erläuterungen der Redaktion – „Uma Thurman nimmt Rache“, heißt es in den Charts der funny-frischen Dr. Monika, „Uma Thurmans Rachefeldzug“ beim selbstständigen Robert – deuten zusätzlich daraufhin, dass diese jungen Menschen zu allerlei imstande sind, wenn man ihnen blöd kommt. Auch ich kann derzeit für nichts garantieren, weshalb ich diesen Text auch als Hilferuf an Gleichgesinnte verstanden wissen möchte.
Schwacher Trost: Seit das Dezemberheft von Cinema 12/04 in den Regalen liegt, grübeln die Strategen anderer Medienhäuser, wie man die bisher beliebteste Rubrik des DVD-Chartsmagazins aus Pöseldorf geschickt weiterentwickelt. Ob aber Die Welt tatsächlich die Lieblings-Trittin-Witze der Energy-Branche präsentieren wird, ist bislang noch unklar. RENÉ MARTENS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen