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Hauptstadt will humaner sein

Zusammen mit London und Rom will Berlin seine Flüchtlingspolitik überprüfen. In einer Erklärung fordern sie mehr Mitsprache in der Asylgesetzgebung – und plädieren für einen humaneren Umgang

VON SUSANNE AMANN

Es klingt wie der ultimative Wunschzettel aller Flüchtlingsorganisationen: Im Juni dieses Jahres wurde die gemeinsame „Erklärung der Bürgermeister und Stadträte Europäischer Städte“ verabschiedet, die eine „starke Rolle der Städte in einer gemeinsamen Asylpolitik der Europäischen Union“ fordert. Was dabei so unspektakulär klingt, dass es im Sommer kaum jemand interessiert hat, ist eines der fortschrittlichsten Papiere, die in der Asylpolitik in letzter Zeit veröffentlicht wurden. Es bildet den Ausgangspunkt für die Konferenz „Europa – Land des Asyls“, die gestern in Berlin eröffnet wurde und die unter anderem die Überprüfung der eigenen Flüchtlingspolitik zum Ziel hat.

Gemeinsam mit London und Rom will Berlin dabei die Praxis seiner Asylpolitik überdenken und die Integrationsmöglichkeiten und Lebensbedingungen von Flüchtlingen mit denen in anderen europäischen Metropolen vergleichen. „Good Practice“ nennt sich das Projekt, und der Anspruch ist hoch, denn das Papier spricht eine klare Sprache: Die Asyl- und Einwanderungspolitik müsse einen Beitrag leisten, um soziale Ausgrenzung zu bekämpfen und die Integration langfristig zu fördern. Daher müssten Asylsuchende „die grundlegenden Mittel für ein Leben in Würde und Sicherheit erhalten“.

Vor allem aber zeichnet sich in der Erklärung ein Paradigmenwechsel ab: „Immigranten haben das Potenzial“, heißt es da, „unsere Städte und die EU zu bereichern.“ Die Geschichte Europas zeige, dass Einwanderer die Städte demografisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell bereichern könnten.

Die Initiative für die Erklärung ging von dem Londoner Bürgermeister Ken Livingstone aus, unterschrieben haben neben Klaus Wowereit (SPD) aus Berlin unter anderem auch die Bürgermeister von Amsterdam, Athen, Helsinki, Paris, Rom und Brüssel. Livingstone kritisierte die geringen Einflussmöglichkeiten, die Städten in der europäischen Flüchtlingspolitik zukommt. „Die großen Städte übernehmen die überwiegende Arbeit bei der Betreuung von Asylsuchenden und der Integration von Flüchtlingen“, sagt auch Ulrich Raiser, der beim Integrationsbeauftragten Günter Piening im „Good-Practice“-Projekt mitarbeitet. Die Erklärung sei deshalb ein Aufruf, die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Städte zu stärken, sie aber auch in die politische Verantwortung zu nehmen.

Denn Mitsprachemöglichkeiten haben die Städte wenig, bislang werden Asylrichtlinien und Gesetze hauptsächlich auf nationaler und EU-Ebene entschieden. „Wir wollen uns untereinander austauschen, unsere Praktiken auf den Prüfstand stellen und so gemeinsame Standards entwickeln“, erhofft sich Raiser von der Konferenz. Dabei sollen gerade auch die Erfahrungen über unkonventionellere Methoden im Umgang mit Asylbewerbern ausgetauscht werden. Hauptsächlich geht es um die Bereiche Gesundheit, Bildung und Arbeitsmarkt.

Auf der Konferenz werden dabei zwei konkrete Projekte aus Berlin vorgestellt, die sich an den Standards der gemeinsamen Erklärung messen lassen wollen: Zum einen wird in den meisten Bezirken wieder Bargeld für den Lebensunterhalt an die Betroffenen ausgezahlt. Rund fünf Jahre lang konnten Asylbewerber nur mit Hilfe von Chipkarten einkaufen, ein System, das Berlin bundesweit als erstes Land eingeführt hatte. Zum anderen ist seit September erstmals auch die Unterbringung von Asylbewerbern in privaten Wohnungen möglich. Raiser: „Diese Initiativen gehen zwar nicht direkt auf die gemeinsame Erklärung der Städte zurück, versuchen aber, eine asylfreundliche Politik auf lokaler Ebene zu machen.“

Auch der Flüchtlingsrat Berlin begrüßt es, dass sich die Städte mit den konkreten Modellen beschäftigen. Denn zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegen manchmal Welten: „Wir wissen zum Beispiel, dass viele wohnungsuchende Asylbewerber von den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften stark diskriminiert werden“, so der Koordinator Jens-Uwe Thomas (siehe Interview). Nimmt Berlin den Anspruch an die eigene Asylpolitik ernst, müsste sich daran bald etwas ändern.

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