: Zur inneren Musik tanzen
Für die in Berlin lebenden irakischen Kurden ist ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung gegangen: die Ergreifung Saddam Husseins. Um seine Gefangennahme zu feiern, treffen sich die Leute in den kurdisch-iranischen Vereinen – etwa dem Awadani
von WALTRAUD SCHWAB
Im spartanisch eingerichteten Clubraum des irakisch kurdischen Vereins Awadani, zu Deutsch: Wiederaufbau, sitzen fünf Männer. Alle sagen, dass sie sich freuen über die Verhaftung Saddam Husseins. Anzusehen ist es ihnen nicht. „Es ist eine Freude am falschen Ort. Das tut weh“, meint Abdullah Aziz. Der ehemalige Peschmerga-Kämpfer, den die Spuren des Krieges körperlich gezeichnet haben, ist ein Mann der leisen Töne.
„Eigentlich müssten wir auf dem Ku’damm tanzen“, sagt dagegen Krmanc Hariky, der neben Aziz sitzt. Die Polizei erlaube es nicht; dort sei schon eine andere Kundgebung. So überlegen sich die Männer, die aufgrund der Ereignisse zahlreich im Verein vorbeikommen, noch, wie sie Berlin, „dem kühlen Berlin“, ihre Freude, die sie an diesem Tag zusammenschweißt, kundtun können.
Für sich selber hat jeder schon nach einem Weg gesucht, seine Begeisterung zu zeigen. Hariky hat gestern nach dem Aufstehen seine Frau zum Tanz aufgefordert. „Nach der inneren Musik tanzen“, meint Aziz. Die innere Musik, das ist die Freude.
Achmed Kawan hat sie konkreter zum Ausdruck gebracht. Seine Frau, eine Deutsche, hat gestern, nachdem die Nachricht von der Ergreifung Saddam Husseins bekannt wurde, eine Flasche Ramazotti aus dem Schrank geholt. „Ich hab getrunken, obwohl es erst zehn Uhr morgens war.“ Während er dies erzählt, reicht ein anderer auf einem Tablett Bonbons herum. „Sehen Sie, Süßigkeiten. Ein Zeichen von Glück“, sagt jemand.
„Wir sind frei. Jetzt wird alles besser.“ Die Männer, die seit Jahren in Berlin leben, hoffen es nicht nur, sie wissen es. Ohnehin sei schon alles besser geworden dort im Nordirak, ihrer kurdischen Heimat, die ihnen lieb ist – und fremd geworden ist. Hariky war vor kurzem dort. Er hat mit eigenen Augen gesehen, was alles schon anders ist. Die Angst sei nicht mehr da, berichtet er. Außerdem hätten die Leute jetzt mehr Geld als zuvor. Auch die Nahrungsmittellage sei besser. In der Schule bräuchte kein Kind vor jeder Stunde mehr brüllen „Saddam ist der Größte“ und einen Treueeid auf den Diktator schwören. „Meinungsfreiheit“ ist das Schlüsselwort. Endlich sagen dürfen, was man denkt.
Hariky ist Poet. Er hat mehrere Gedichtbände veröffentlicht. Sein Traum für das Heimatland: Ein unabhängiges Kurdistan, ein starkes Militär, eine starke Ökonomie, eine starke Demokratie. Ob sich starkes Miliär und Demokratie nicht in die Quere kommen? Nein, das Militär beschütze die Demokratie, sagt der Mann, der sich noch heute jedesmal daran erinnern muss, dass er in Berlin lebt, wenn ein Flugzeug über ihm fliegt. „Also keine Bomben.“
Krmanc Geschichte erklärt sein Bedürfnis nach Sicherheit. Sein kurdisches Heimatdorf wurde dem Erdboden gleichgemacht. Sein Bruder, seine Schwester, deren Kinder, ein Onkel und 16 weitere Verwandte starben bei dem Pogrom. Tausend Menschen aus dem Dorf starben. Nur 276 überlebten. Er sah aus den Bergen zu, wie sein Haus in Flammen aufging. Seine Bücher, seine Gedichte verbrannten. „Es ist, als ob meine Zunge verbrannt ist“, sagt er.
Jeder, der um den Tisch sitzt, hat Angehörige verloren. Und alle, die um den Tisch sitzen, eint die Erfahrung von Krieg, Flucht, Berlin. Der Traum vom unabhängigen Kurdistan, den teilen sie auch. Obwohl sie sich alle ebenso dem Irak verbunden fühlen. Aber die Jahre der Diktatur, in denen die irakischen Kurden vertrieben, umgesiedelt, schikaniert, getötet wurden, die Jahre, in denen das Saddam-Regime bewusst Araber im kurdischen Gebiet angesiedelt hat, machen es heute nicht ganz einfach, den Hass in Aussöhnung zu verwandeln. Versucht wird es dennoch. Es werden Wörter wie irakische Föderation, Gleichberechtigung, Religionsfreiheit in die Runde geworfen. Sie sind ernst gemeint.
Dass der Krieg der Amerikaner und Briten richtig war, das bezweifelt keiner. „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“, sagt einer. Im Fenster hängen Fahnen der beiden Staaten.
Zurückgehen, das würden die meisten gern. Nur wie. Ich habe keine Arbeit dort, keine Wohnung, keine Schule, auf der meine Kinder in Deutsch unterrichtet werden. Die Zeit der Emigration hat aus den irakischen Kurden Deutsche mit kurdischem Herzen gemacht. Der falsche Ort ist ihre neue Heimat.
Nur eines, das wünschen sich alle, meint Aziz: Dass Saddam Hussein in Halabdscha vor Gericht gestellt werde. Es ist der Ort, an dem er 1988 mehr als 5.000 Kurden vergiften ließ. „Diese Stadt ist ein Mahnmal. Man vergisst das nie. Solange man lebt.“
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