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In hohem Bogen in den Brunnen

Karen Duves Märchen „Weihnachten mit Thomas Müller“ ist eine kleine und nahezu perfekte Geschichte rund um einen Heiligen Abend

Wer eine Weihnachtsgeschichte schreiben will, steht immer vor dem gleichen Problem: Sie muss gut ausgehen. Wer möchte schon etwas über das so genannte Fest der Liebe lesen, das ihm am Ende der Story durch Leidende, Tote, Getrennte vergällt wird.

Es sei denn, die Autorin ist Zynikerin und legt keinen großen Wert auf den kommerziellen Erfolg. Der literarische Kanon schreibt den einfachen Bogen vor: Dem Held soll etwas Ungewöhnliches widerfahren, am besten, er gerät unverschuldet in Not und wird auf wundersame Weise daraus gerettet. Die Spannung, die von so einer Geschichte ausgeht, hält sich also in Grenzen und limitiert die inhaltliche Variationsbreite und meist auch die literarische Form. Dem konnte sich auch Karen Duve bei ihrem Märchen Weihnachten mit Thomas Müller nicht entziehen.

Da beginnt es aber schon magisch zu werden, denn besagter Thomas könnte durchaus auf Aufnahme in ihrem Lexikon der berühmten Tiere pochen, handelt es sich doch um einen Teddy, der laufen und sprechen kann. Bei den Weihnachtskäufen auf den letzten Drücker der Familie Wortmann geht er verloren, als Sohn Marc „die Turnschuhe mit dem integrierten Discolicht entdeckt“. Alleine versucht er mit dem Taxi, „auf dessen Kofferraum die Forderung TODESSTRAFE FÜR TAXIMÖRDER klebt“, nach Hause zu gelangen.

Da der Bär aber kein Geld hat, befördert ihn der Fahrer mit einem Tritt in den Hamburger Mönckebergbrunnen anstatt nach Hanstedt. Und schon beginnt eine Odyssee, in deren Vorlauf Thomas in Kontakt mit der Wanderkatze Panther kommt, sich mit ihr zusammen zu Fuß auf den weiten Weg macht, bis ihm die Holzwolle aus den Schuhsohlen quillt, und das ungewöhnliche Pärchen letztlich – wie gesagt, wie sollte es anders sein bei einer Weihnachtsgeschichte – gerettet wird.

Wie kommt es aber, dass jemand wie der Schriftstellerkollege und Musiker Sven Regener Weihnachten mit Thomas Müller als „die schönste Weihnachtsgeschichte seit langem“ bezeichnet? Ein Teil des Reizes erklärt sich wohl mit dem Witz und der Ironie, mit der die einzelnen Figuren beschrieben werden. Als Vater Wortmann eröffnet wird, dass er auf ein Geschenk verzichten müsse, drängt er darauf, „dass es nicht gerade die Socken sind, denn auf die Socken habe ich mich schon gefreut“, während seine Gattin bereits unter dem Weihnachtsbaum anfängt, mit ihrem neuen Werkzeugkoffer zu hantieren.

Zum anderen sind es die Illustrationen von Petra Kolitsch, die den Zauber des Buches ausmachen. Wenn das ungleiche Paar auf dem Wag nach Süden über die Elbbrücken marschiert und der Schnee in dicken Flocken auf die Fahrbahn fällt und schmilzt, ahnt man die Unwirtlichkeit Hamburgs an einem feuchtkalten Heiligen Abend. Und wie der Alltag der Familie Wortmann aussehen mag, erkennt der Betrachter an den Details, die die Illustratorin in den Tableaus versteckt hat. Wenn man sich den Bücherschrank anschaut, entdeckt man neben Stanislaw Lem die Titel Yoga und Shambhala und kann sich lange Gedanken darüber machen, wer die wohl lesen mag.

Und wer dann noch die Romane von Karen Duve kennt, der freut sich über die Anspielungen im Text. Nur dass alles viel schneller gehen muss. Schließlich hat sie hier nicht wie in ihrem Regenroman 300 Seiten Zeit, alles einzunässen und im Moor versinken zulassen. Da muss es einfach schneller gehen und Thomas Müller in hohem Bogen im Brunnen landen. Die Hauptsache ist ohnehin, dass er am Ende in der warmen Stube landet. Eberhard Spohd

Karen Duve: Weihnachten mit Thomas Müller. Illustriert von Petra Kolitsch, Eichborn Berlin, 40 Seiten, 9,90 Euro

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