WAHLBOYKOTT DER LIBERALEN: FREIWILLIG IN DIE BEDEUTUNGSLOSIGKEIT: Putin erstickt die Demokratie
Am 14. März kommenden Jahres könnte eine weitere Etappe der Zeitreise in die sowjetische Vergangenheit zum Abschluss kommen. An diesem Tag wird sich Russlands Präsident Wladimir Putin wohl als Einziger um seine eigene Nachfolge bewerben. Dieses Szenario ist mit der Absage der Liberalen, einen eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken, recht wahrscheinlich geworden. Und das Zaudern des Kommunistenchefs Gennadi Sjuganow, ob er in den Ring steigen oder diesmal doch lieber durch Abwesenheit glänzen soll, ist nur eine weiteres Indiz für die bevorstehende One-Man-Show à la Putin.
Die trotzige Haltung der Liberalen ist nachvollziehbar. Worin sollte auch der Sinn bestehen, in einer Schmierenkomödie, die in Russland immer noch Wahl genannt wird, den Statisten zu geben? In einem Land, wo das Wahlergebnis schon Monate vorher feststeht, die Medien einstimmig das hohe Lied des Kremlmeisters singen und der präsidententreuen Partei Einiges Russland von der Mehrheit der Zuschauer die beste Performance attestiert wird – obwohl sie penetrant bei allen TV-Debatten fehlt?
Vielleicht mag die Boykotteure auch die Vorstellung motiviert haben, durch Nichtteilnahme ein Zeichen zu setzen und die Wahl so als das zu entlarven, was sie ist: eine Farce. Allein ob sich dieser filigrane Ansatz den russischen Wählern erschließt und vielleicht zu einer erhöhten Abstinenz am Wahltag führt, ist zweifelhaft. Nicht nur die Liberalen wären besser beraten, am 14. März nach der Devise „Dabei sein ist alles“ zu verfahren. Stattdessen wollen sie Putin das Feld schon vorher kampflos überlassen. Damit katapultieren sie sich noch weiter in die Bedeutungslosigkeit und nehmen all jenen die politische Heimstatt, die sich bislang noch für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen.
Putin kann sich die Hände reiben – und auch einige kluge Analytiker im Westen, die so begeistert die Entwicklung in Russland hin zu mehr Stabilität loben. Stabilität herrscht im Reiche Putins in der Tat. „Erstickte Demokratie“ ist eine angemessenere Bezeichnung. BARBARA OERTEL
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