nebensachen aus bukarest: Im Land der Plagiomanie: Gut kopiert ist schon halb ernannt
Eigentum ist Diebstahl. Diese 163 Jahre alte Maxime des französischen Philosophen Pierre-Joseph Proudhon wird in rumänischen akademischen Kreisen praxisnah angewendet. Ein begeisterter Proudhonist ist der Bukarester Chirurg Mircea Beuran. Der 50-Jährige wirkt wie ein alter, magenkranker Beamter, den die Tintendämpfe aus Stempelkissen innerlich zerfressen haben. Im Juni wurde er Gesundheitsminister, im Oktober entlassen.
Kurz nach seinem Amtsantritt war herausgekommen, dass er viel abgeschrieben und unter seinem eigenen Namen veröffentlicht hatte. Einige seiner Chirurgie-Lehrbücher basieren passagengetreu auf den Arbeiten französischer und US-amerikanischer Kollegen.
Der Minister stritt alles ab. Medizinische Symptome seien überall dieselben, dozierte er, ihre Behandlung oft sehr ähnlich. Eine Kommission der Bukarester Universität überführte ihn Anfang Oktober mehrerer Plagiate und entzog ihm die Lehrerlaubnis. Zwei Wochen später trat Beuran zurück. Er wolle die Regierung nicht in Erklärungsnot für „Kollateralschäden“ bringen.
Plagiomanie ist bei den Beurans eine Familienkrankheit. Kaum war der Minister überführt, stellte sich heraus, dass auch seine Frau Maria kopiert. Sie arbeitet in einer Bukarester Augen- und Hals-Nasen-Ohren-Klinik. Ein Lehrbuch zum Thema, dessen Mitautorin sie ist, soll zu einem Drittel eine Übersetzung einer französischen Abhandlung sein – ohne Quellenangabe.
Vor wenigen Tagen rasselte die Tochter des Ehepaares, Irina Adriana, durch die Aufnahmeprüfung für das Zahnmedizinstudium. Falsch abgeschrieben? „Sie hat nicht abgeschrieben“, protestierte ihr Vater gegen Mutmaßungen zum miserablen Abschneiden. Bei der Prüfung hatte seine Tochter nur die Hälfte der möglichen Punktzahl erreicht. „Das beweist“, so Beuran, „dass unser genetisches Familienerbe das ganz normaler Leute ist.“
Was für ein Kollateralschaden! Apropos. Einen solchen erlitt bereits Beurans Vorgängerin im Ministeramt, Daniela Bartos. Die 52-jährige Internistin war schon mehrmals Gesundheitsministerin und musste wegen der Krise im Gesundheitswesen des Öfteren zurücktreten. Sie ist eine Art Plagiat der Eisernen Lady – ihr Markenzeichen: ein permafrostiger Stahlgewitterblick. Auch sie soll plagiiert haben. Noch bevor eine Universitätskommission darüber zu Gericht saß, gab sie ihren Posten als Lehrkraft an der Medizinfakultät ab.
Derzeit decken rumänische Medien immer neue Fälle von Plagiaten auf. Betroffen sind alle Sorten von Politikern und Akademikern. Niemand weiß, was die Enthüllungsserie noch ans Tageslicht bringt. Vielleicht gibt es gar kein echtes rumänisches Gesundheitswesen. Und am Ende kommt sogar heraus, dass das ganze Land ein Plagiat ist.
Um Kollateralschäden mit dem neuen Gesundheitsminister Ovidiu Brînzan zu vermeiden, musste sich dieser vor seiner Vereidigung einem klärenden Gespräch unterziehen. Der Regierungschef fragte den 44-jährigen Herzchirurgie-Smartie direkt: „Hast du schon mal irgendwas anderes geschrieben außer Rezepten?“ KENO VERSECK
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