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Jesus nackt im Dom

„Nackte Näherinnen im Dom – wie weit darf Kunst in der Kirche gehen?“ Die Argumente der Befürworter von Kresniks Inszenierung „Die zehn Gebote“ im Dom und die der Kritiker prallten im Domkapitelsaal aufeinander

„Wenn Sie sich nicht ändern, werden Sie in Zukunft oft allein in Kirchen sein“

bremen taz ■ Rappelvoll war der Domkapitelsaal am Montagabend, als die Theaterleute von Kresniks „Die zehn Gebote“ auf die Kirchenoberen der Domgemeinde trafen. Nach der Absage der Proben im Dom war es das erste Treffen, und Zwischenrufe und Beifall aus dem Publikum machten deutlich, wie heftig die Kontroverse in der Domgemeinde tobt über die Frage: „Nackte Näherinnen im Dom – wie weit darf Kunst in der Kirche gehen?“ In der Mitte saß der Pastor der Friedensgemeinde, Bernd Klingbeil-Jahr, der der Theater-Truppe seine Kirche als Ersatz geöffnet hat und sich nun als Zielscheibe der Kampagne der Bild-Zeitung sah.

Einig waren sich die Vertreter der Domgemeinde wie die der freien Theaterkunst in ihrer Ablehnung dieser „Zeitung mit den vier Buchstaben“. „So ein publizistisches Organ kann ich nicht akzeptieren als Artikulation der Öffentlichkeit“, meinte Klaus Pierwoß, Intendant des Theaters. Die Domgemeinde habe „Angst vor der eigenen Zivilcourage“ bekommen und sei „eingeknickt“. Täglich mache diese Zeitung Auflage mit einer „pornografischen Art“, Frauen nackt darzustellen. Unglaubwürdig sei daher die Empörung über die Bildersprache des Theaters. Wenn das Theater nach Frauen suche, die bereit sind, sich als „nackte Näherinnen“ für die Kresnik-Inszenierung zur Verfügung zu stellen, sei dies etwas ganz anderes: Bei Kresnik sollte die Nacktheit als Bild für Entwürdigung der Menschen dienen, ähnlich wie die kirchliche Ikonografie Jesus am Kreuz nackt darstelle, erläuterte Pierwoß‘ Dramaturg Joachim Klement. Die Näherinnen sollten stellvertretend für solche Kinder da sitzen, die Sportartikel für die Jugend der reichen Welt produzieren müssen. „Du sollst nicht stehlen“ sollte das Oberthema der Szene sein.

Aber dieser thematische Zusammenhang war in dem Pressetext am Montag nicht deutlich gemacht worden, mit dem das Theater seine Nackt-Darstellerinnen suchen wollte. Die taz ignorierte die Meldung zunächst, die Bild-Zeitung empörte sich – „am Dienstag brach dann die Lawine los“, sagen die Vertreter der Domgemeinde.

Edda Bosse ist die Dombauherrin, die die Begründung für den Abbruch der Proben am Schärfsten formulierte. Man sei bereit gewesen, „Offenheit zu zeigen“, sagt sie. „Leider ist es nicht zu inhaltlichen Gesprächen gekommen.“ Erst in den Proben sei deutlich gewesen, was Hans Kresnik wollte. Der Dom sei „durch diese Proben verändert, entwürdigt worden“, die sie gesehen hat: Der Schauspieler, der auf das Auto einhackte, die symbolische Vergewaltigung, die lesbische Pastorin, das Spucken, das Schreien – „da wird nur Gewalt inszeniert“, sagt sie, Kresnik habe „kein Klischee ausgelassen“, sie sei nach dem Probenbesuch ganz „verstört“ gewesen – über die „niedere Qualität der Bildsprache“. Kannte die Dombauherrin Bosse das Bunker-Stück nicht? Doch, sagt sie, sie sei aber davon ausgegangen, dass Kresnik in einem anderen Raum auch zu anderen Mitteln finden könne. „Der Bunker ist ein brutales Bauwerk – die Lautstärke und Drastik ist da gut aufgehoben“. Nicht im Dom.

Auch auf der Theaterbühne würde das Stück vielleicht nicht besonders wirken, wie bei dem Bunker-Stück ist es die Reibung an dem Raum – erst der Dom hätte das Stück zu etwas Besonderem machen können. Und gerade das wollte die Kirche mit „ihrem“ Dom nicht machen lassen.

„Kirche ist ein Raum, an dem Menschen mit intimen Gefühlen hängen“, formulierte das der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, Louis-Ferdinand von Zobeltitz. „Wir feiern dort sonntäglich das Heilige.“ Die Such-Anzeige nach den nackten Frauen habe ihm gezeigt, „dass die Theaterleute nicht wussten, in was für einem Raum sie spielen wollen.“ Kresnik habe sein Stück „gegen den Raum, nicht mit dem Raum“ inszenieren wollen.

Das Argument, so allgemein formuliert, würde natürlich den Raum der Friedenskirche in der Humboldtstraße genauso betreffen. Er sei „gespannt, zu welchen Entscheidungen die Friedensgemeinde stehen wird, wenn die Proben am Ende sind“, meinte Zobeltitz.

Es waren viele Gemeindemitglieder in den Domkapitelsaal gekommen, die in der Absage an Kresnik eher Weltfremdheit der Kirche sahen. Der Kantor der Friedensgemeinde erinnerte, dass auch die Bibel, in der es um die Unverletzlichkeit der Würde des Menschen gehe, sehr drastische Bilder kenne. „Mord gibt es in der Bibel, Unzucht. David stellt einen seiner Heerführer in die erste Reihe, um mit dessen Frau vögeln zu können.“ Das habe wenig gemein mit der heiligen Stille und Betulichkeit, die sonntags in der Kirche herrsche. Aber die Domgemeinde, erinnerte er, sei immer schon ein „sicherer Ort des Konservatismus“ gewesen, in den 50er Jahren, als sie gegen den Literaturpreis für Günter Grass polemisierte, oder 1978, als den Tschernobyl-Demonstranten die Tür verschlossen werden sollte, die Schutz vor dem atomar verseuchten Regen suchten.

Auch der Pfarrer der Friedensgemeinde bekam viel Beifall. „Ich kann diese Angst nicht begreifen“, meinte er. „Kirchen sind nicht nur Heimat, sondern auch Fremdheit. Nicht nur Ruhe, sondern auch Aufbruch, Unruhe.“ Ein Mitglied der Domgemeinde erinnerte an die drastischen Darstellungen des Gekreuzigten – im Halbrelief. Eine andere Frau hielt dagegen, dass der Regisseur Kresnik nicht die Realität in die Kirche hineinbringen wolle, sondern eigentlich in allen seinen Stücken „seine Traumata gewalttätig behandelt“, das sei „einer, der sich reproduziert“. Man könne der Kirche nur vorwerfen, dass sie etwas anderes erwartet hat.

Fast versöhnlich meinte Intendant Pierwoß am Ende, man könne ja vielleicht aus der Erfahrung lernen und mit einem anderen Stück, einem anderen Regisseur einen neuen Versuch im Dom wagen: „Der erste Anlauf sollte nicht der letzte gewesen sein.“ Sein Dramaturg Klement stimmte nicht ein. „Wenn Sie sich nicht ändern, werden Sie in Zukunft oft allein in Kirchenräumen sein“, formulierte er in seinem Schlusswort. „Weil die Menschen nicht mehr da sind, mit denen sie über Würde reden könnten.“ Klaus Wolschner

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