was sie schon immer über linguisten wissen wollten von PAULA KROKOWSKI
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Der Linguist denkt viel nach. Seine Modelle sind abstrakt. Das ist anstrengend und kostet Zeit. Die fehlt dann woanders. Zum Beispiel beim Ausleben der nicht-geistigen Gelüste. Warum der Linguist dennoch – im Gegensatz zum Literaturwissenschaftler etwa – so entspannt daherkommt, liegt nicht allein daran, dass er meist die bequemere Kleidung trägt. Nein, der Linguist sublimiert einfach gern. In diesem Sinne ist er wie der Künstler. Wie Einschlüsse finden sich die geheimen Wünsche in seinem Produkt – wohl aufgehoben, kanalisiert und mit einem zufriedenen Schöpfer im Hintergrund.

Der Linguist nämlich produziert Texte. Und wenn ein Text gut ist, dann gibt es viele Beispiele aus der praktischen Sprache, an denen er sich theoretisch entlanghangelt. Und hier schlägt sich nieder, wofür sonst keine Zeit ist. Blättern Sie mal in einem linguistischen Fachbuch. Ich übernehme das schnell für Sie, da Sie so etwas wahrscheinlich nicht gleich zur Hand haben. Und was steht dort als Beispiel? „Hubert hat neulich den Versuch unternommen, die Frau zu küssen.“ Oder: „Hans hat mindestens eine Frau auf jede Art und Weise umworben.“ Oder auch: „Susan hits John and John hits Peter.“ Oder noch besser: „Mary owns a donkey and she loves it.“ Muss ich noch mehr sagen? Ich garantiere Ihnen, dass von zehn linguistischen Aufsätzen – jedenfalls innerhalb der theoretischen Linguistik, wo die Luft besonders dünn ist – mindestens sieben ein Sprachbeispiel aufweisen, in dem jemand geliebt, geküsst, geschlagen oder gar erstochen wird.

Selbstverständlich kommen die Beispiele selten so formschön daher, wie man jetzt den Eindruck haben könnte. Der Linguist muss sich tarnen und das tut er durch Sprachverwirrung. Unbewusst ahnt er ja, auf welcher Ebene er unterwegs ist. Und man kennt die Kollegen und die Akribie ihrer Spitzfindigkeiten. Zur Tarnung stehen dem Linguisten verschiedene Varianten zur Verfügung, je nach bereichsspezifischem Kanon. Der Syntaktiker etwa schreibt lieber: „die Frau, die den Versuch Hubert neulich unternommen hat zu küssen“, und fragt sich, ob das nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch möglich wäre. Der Semantiker hingegen ersetzt Hubert durch einen Wolf, von dem nur er weiß, dass das eine Metapher für ihn selbst ist, und diskutiert, ob das Verbindungsprobleme aufwirft. Die Tarnkappe des Phonologen ist jedoch die wirksamste, denn er gibt den Satz einfach in Lautschrift wieder, die sowieso niemand entziffern kann, bis auf wahrscheinlich ihn selbst.

Linguisten verdienen unsere Bewunderung. Denn wo sonst verwirrt Wissenschaft auf so fantasievolle Weise: Sex and crime in allen Varianten unter dem Deckmantel grammatischer Theorienbildung. Das ist effektiv. Das tut nicht weh, macht keinen Dreck und spart Zeit. Der Schreiber ist locker und gelöst – von solch harmonischer Atmosphäre beim Erschaffen geistiger Güter hat man selten gehört.

Hoffentlich wird der Linguist ewig Texte produzieren und vor sich hin sublimieren. Wir wollen doch alle nicht, dass er die theoretische Sphäre verlässt und seinen innersten Neigungen unkontrolliert folgt. Das wäre wahrhaftig ein zu großes Küssen und Schlagen und Stechen …