: Engel gibt es gratis
Von Barbara Dribbusch
Nicht jede Sinnsuche ist mit großer Mühe verbunden. Manchmal geht es auch leichter: „The Lazy Way to Success: Ohne Anstrengung alles erreichen“ von Fred Gratzon findet sich im esoterischen Dharma-Buchladen in Berlin neben dem strengen „Tibetischen Buch vom Leben und Sterben“ von Sogyal Rinpoche. Die spirituelle Szene bietet heute für jeden die passende Lebenshilfe. „Der Einzelne will selbst entscheiden, was für ihn gut ist“, meint Reinhard Sonnenschmidt, Religionspolitologe an der Universität Duisburg-Essen. Und nie war das Angebot so vielfältig wie heute.
Vorbei sind die Zeiten, wo Kritiker vor der Verführungsmacht der Sekten warnten oder die Leichtgläubigkeit von I-Ging-Anhängern belächelt wurde. Pragmatische spirituelle Lebenshilfe ist heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dabei werden zunehmend „Glaubenssysteme mit psychologischen Selbsthilfetechniken verknüpft“, sagt Fritz Steinschulte, Inhaber des Dharma-Buchladens, der sich seit 22 Jahren mit dem Auf und Ab der esoterischen Szene befasst. Seine KundInnen basteln sich heute selbst ihren ganz privaten Glaubensmix.
Zum Beispiel Sabine, 42 Jahre alt, Ärztin. Sie hat zwei Psychotherapien hinter sich und versucht jetzt in einer Yoga-Gruppe und mit allmorgendlichen Atemmeditationen „innerlich zur Ruhe zu kommen“. Dörthe wiederum, Sozialpädagogin, 39, glaubt an die Wiedergeburt, liest gerade den Bestseller über „die Aussöhnung mit dem inneren Kind“ und hofft, „mich endlich mal von meinem inneren Leistungsdruck lösen zu können“.
Etwa zwei Drittel der Kunden in dem Buchladen sind weiblich, die meisten im mittleren Alter und eher akademisch gebildet. Obwohl das Angebot an spiritueller Literatur von den Meditationsübungen der „Fünf Tibeter“ bis zur Rede über die „Kraft der Gegenwart“ von Eckhart Tolle so vielfältig wirkt, sind die Botschaften eigentlich immer die gleichen: „Du bist okay. Dunkle Seiten gehören zur Persönlichkeit. Krisen haben auch ihr Gutes.“ Und vor allem: „Alles materielle Streben ist oberflächlich, Erfolg, Ruhm und Schönheit sind vergänglich.“ So was kommt gut an bei Menschen, die sich an der Jagd nach materiellem oder sexuellem Erfolg nicht mehr beteiligen können oder wollen.
Gerade in einer alternden Gesellschaft könnten Meditationskurse, Yoga-Klassen und spirituelle Vorträge daher wieder regen Zulauf bekommen, glauben Experten. „Selbst wenn wir uns noch so gesund ernähren und Sport treiben, nehmen wir Grenzen und Verfall doch wahr und suchen nach Methoden, unsere Grenzen zu erweitern. Das kann dann aber nur geistig passieren“, erklärt Michael Utsch, Experte für den Psychomarkt bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin.
Die spirituellen Moden unterliegen allerdings auch selbst einer gewissen Vergänglichkeit. Die Begeisterung für das I-Ging, für Tarot, auch für die Archetypen C. G. Jungs habe deutlich nachgelassen, sagt Steinschulte. Yoga dagegen boome nach wie vor, auch die Religionsliteratur über Buddhismus, Sufismus und Hinduismus stoße nach wie vor auf großes Interesse. Esoteriker bedienen sich inzwischen auch wieder der Bilderwelt des Christentums. „Engelsgeschichten sind im Moment ziemlich trendy“, erklärt Franz Prohaska, Geschäftsführer der Esoterik-Messen. In so genannten Engelsmeditationen lernen Interessierte, die für ihr Anliegen jeweils passenden Engel anzurufen und um Beistand zu bitten. So genannte Engelsdolmetscherinnen versprechen Ratsuchenden, ihnen Tipps und Hilfe direkt aus dem Himmel zu vermitteln.
Die Esoterik-Messen touren seit 12 Jahren durch deutsche, schweizerische und österreichische Städte. „Gesundheitliche Themen haben sich in den Vordergrund geschoben, während die klassische Esoterik stagniert“, berichtet Prohaska. Neue Modetrends vergehen schnell: Vor fünf Jahren kamen noch zehn Aussteller für Feng-Shui auf seine Messe, in diesem Jahr dagegen erschien nur noch ein Feng-Shui-Vertreter. Im Osten sei der Zulauf zu den Esoterik-Messen immer schleppend gewesen. „Die Leute in den neuen Bundesländern haben eben andere Sachen im Kopf als Esoterik“, sagt Prohaska. Als Lebenshilfe für Arme oder Langzeitarbeitslose sei die spirituelle Szene nicht geeignet, glaubt auch Religionspolitologe Sonnenschmidt, „schließlich kosten die Veranstaltungen und Kurse Geld“.
Die spirituelle Lebenshilfe nur als Beruhigungsmittel für gut situierte Frauen in mittleren Jahren abzukanzeln, wäre jedoch falsch. Denn erstens ähneln die Meditationstechniken den Psychomethoden, die in Führungsseminaren von Unternehmen einer vornehmlich männlichen Teilnehmerschaft dargeboten werden. Meditierende entwickeln innere Bilder oder suggestive Sätze, um Stress abzubauen und sich seelisch zu stärken. Nichts anderes wird Managern in Anti-Stress-Seminaren beigebracht. Zudem hat inzwischen auch die Psychotherapie erkannt, dass ein tröstendes Glaubenssystem die Seele stabilisiert.
Utsch nennt Untersuchungen, nach denen Leute, die von Kindheit an über eine stabile Glaubensüberzeugung verfügten, es leichter haben mit dem Altern. Auch Schwerkranke, die einen Glauben haben, leben länger. Doch Glauben ist nicht gleich Glauben: Auf das Gottesbild kommt es an, zeigte eine Studie an 700 Franziskaner-Nonnen. Die Nonnen, die ein warmherziges, liebevolles, mütterliches Gottesbild hatten, waren sowohl seelisch als auch körperlich in besserer Verfassung als jene Nonnen, die ein Gottesbild vertraten, das mehr auf Werten wie Pflicht und Gehorsam fußte.
Sich den Glauben selbst zurechtzuzimmern, ist also durchaus begrüßenswert. Ab wann aber fängt die Verführung, die Scharlatanerie der Esoterik an? Matthias Pöhlmann, Esoterik-Experte bei der EZW: „Wenn sich Menschen von der sozialen Umwelt zurückziehen, sich nur noch der Esoterik widmen und die Verantwortung für ihr Tun an irgendeinen höheren Meister delegieren, dann wird das destruktiv“.
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