: Schicksal auf Wiedervorlage
Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz bekommt die Berliner Härtefallkommission ab Januar mehr Einflussmöglichkeiten bei Flüchtlingsfragen. Ob sie an der rigiden Abschiebepraxis etwas ändern kann, bleibt ungewiss – und Einmischung unerwünscht
VON JOCHEN SETZER
Ihr Name bleibt. Auch im neuen Jahr heißt das Gremium, das sich der von Abschiebung bedrohten Flüchtlinge in Berlin annimmt „Härtefallkommission“. Allerdings erhält die Kommission mehr Kompetenz: Künftig darf sich das 7-köpfige Gremium auch über den gesetzlichen Rahmen hinweg für eine Aufenthaltsbefugnis von Flüchtlingen aussprechen. Darauf hoffen seit einigen Wochen von der Abschiebung bedrohte Flüchtlinge.
Auch Zdenko Maric hofft, ein 45-jähriger Bosnier, der 1993 nach Berlin kam und seit dem 6. Dezember in Berlin-Köpenick in Abschiebehaft sitzt. Den Bosnienkrieg hat er in Bosanski Brod am eigenen Leib miterlebt. Seitdem leidet Maric an einer dauerhaften posttraumatischen Belastungsstörung, die ihm auch ärztlich attestiert wird. Der Mann kann sich nur schwer konzentrieren und kämpft mit Gedächtnisstörungen – er spricht daher kaum Deutsch. Deshalb fällt es ihm schwer, sich in Deutschland einzuleben. Dennoch ist er gern hier, nicht zuletzt, weil er weiß, dass eine Behandlung wie in Deutschland in seiner Heimat unmöglich ist.
Ein Aufenthaltstitel ist für Maric nach der bis Jahresende gültigen Rechtslage nicht drin. Das Recht bietet ihm keinen Spielraum – alle Möglichkeiten haben er und seine Anwältin Anja Lederer bereits ausgereizt. Deshalb kann auch die Härtefallkommission in ihrer bisherigen Erscheinungsform nichts für ihn tun. Deren Möglichkeiten erschöpfen sich darin, der zuständigen Ausländerbehörde vorhandene rechtliche Ermessenspielräume aufzuzeigen.
Marics Anwältin setzt deshalb auf die erweiterten Kompetenzen, die die Härtefallkommission ab dem 1. Januar erhalten soll. Sie hat Marics Fall bereits an Thuy Nonnemann vom Vietnam-Haus Berlin weitergeleitet, die als Vertreterin des Migrationsrates Berlin-Brandenburg in der Kommission sitzt. Nonnemann bestätigte gegenüber der taz, dass sie den Fall am vorvergangenen Montag eingebracht hatte. Ob er zugelassen wird, stand noch nicht fest. Beraten würde darüber dann im neuen Jahr – wenn das neue Zuwanderungsgesetz und mit ihm die neue Härtefallregelung in Kraft tritt, hieß es.
Dann können „dringende humanitäre oder persönliche Gründe“ die Empfehlung der Kommission für eine Aufenthaltsgenehmigung rechtfertigen. Bei Maric könnte ausschlaggebend werden, dass es dem schwer traumatisierten Mann nicht zugemutet werden darf, noch einmal aus einem vertrauten Umfeld gerissen zu werden. In dieser „Entbindung vom rechtlichen Rahmen“ sieht Jens-Uwe Thomas vom Berliner Flüchtlingsrat die entscheidende Verbesserung: „Dann können die Ausländerbehörden ihre Abschiebepraxis nicht mehr allein durch gesetzliche Vorgaben rechtfertigen“, hofft Thomas.
Exakt definierte Kriterien die besagen, wer künftig mit einer Empfehlung der Kommission rechnen kann, gibt es nicht. Für Thomas ein Vorteil, „denn die Argumente sind gewichtiger, wenn sie sich auf einen Einzelfall beziehen.“ Dennoch werden seiner Meinung nach die Kriterien Erkrankung, Aufenthaltsdauer und Integration den Verhandlungsrahmen abstecken. Doch das muss die Kommission erst noch intern beraten.
Der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening, dessen Amt in der Kommission vertreten ist, glaubt, dass er eine „etwas weiter gefasste Einschätzung von Härtefällen hat als der Innensenator“.
Beschlüsse fasst die Härtefallkommission, deren Vorsitz der nicht stimmberechtigte Innensenator innehat, mit einer Zweidrittelmehrheit. Damit ersucht sie die Innenbehörde, die dann wiederum die Ausländerbehörde anweist, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen – oder abzuschieben.
Innensenat hat das Sagen
Eine Rolle spielt auch die finanzielle Situation des Flüchtlings. Kann der seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten, oder ist er auf Transferzahlungen angewiesen? Meist ist die Lage jedoch prekär, da die geduldeten Flüchtlinge Jobs nur bekommen, wenn Deutsche oder EU-Ausländer die vakante Stelle nicht ausfüllen können. Auf dem Berliner Arbeitsmarkt sind das schier aussichtslose Bedingungen.
Wie viele Flüchtlinge künftig ein Aufenthaltsrecht erhalten hängt damit nicht nur an der Härtefallkommission. Vielmehr an Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Für Thomas dennoch eine Verbesserung der bisherigen Regelung: „Das Votum der Härtefallkommission bekommt stärkeres Gewicht. Der Innensenator wird sie, schon wegen der Medienwirkung, nicht einfach übergehen können.“
Die Grenzen der Härtefallkommission sind jedoch juristischer Natur. „Wir dürfen uns natürlich nicht um Asylverfahren kümmern“, wie Kommissionsmitglied Traudel Vorbrodt von der katholischen Friedensbewegung Pax Christi erklärt. Die Situation im Heimatland dürfe deshalb nur marginal berücksichtigt werden.
Rund 5.000 Menschen, so Vorbrodts Schätzung, leben in Berlin ohne Aufenthaltstitel, das heißt ohne Rechtsstatus und aufgrund einer ausgesetzten Abschiebung. Die bisherige Kommission behandelte rund 100 Fälle pro Jahr. Innensenator Körting rechnet künftig mit 200 bis 300 verhandelten Flüchtlingsschicksalen. Piening „mit deutlich mehr“. Allein schon die Kapazitäten der Kommission verhinderten, so Vorbrodt zur taz, „dass man sich mit allen anstehenden Fällen befassen könne“. Zwar gäbe es jetzt eine akzeptable Regelung, doch müssten eben alle den „Flaschenhals der Härtefallkommission“ überwinden. Da auch die Neuregelung nur auf Einzelfälle ausgelegt ist, fordert sie „ein Bleiberecht für Flüchtlinge, die schon lange hier leben“. „Damit liegt sie auf dem Kurs der Verwaltung“, bestätigt Piening, „der Innensenator setzt sich aktiv dafür ein.“
Berliner Alleingänge sind jedoch nicht möglich. Erst eine bundeseinheitliche Regelung zum Beispiel zur Frage der Bosnienflüchtlinge könnte Klarheit schaffen. Auf der letzten Innenministerkonferenz im November stand dies deshalb erneut auf der Tagesordnung. Ergebnis: keines. Regelmäßig scheitern die Minister am Einstimmigkeitsprinzip, das mit einigen CDU-Kollegen nicht zu erreichen ist. So bleibt das Schicksal vieler in Berlin lebender Flüchtlinge wie das des Bosniers Zdenko Maric auch im Jahr 2005 vor allem eines: ungewiss.
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