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Ein guter Rat weniger

Die Vereinzelung des Einzelhandels steigert sich zur Selbstauflösung: Mit Alfred Moßdorf alias Udo Mann hat jetzt das letzte Malerfachgeschäft im Viertel geschlossen. An Herrn Mann lag’s bestimmt nicht

Das Dilemma: „Woanders kann man mit weniger Arbeit mehr Geld verdienen“

290 Läden liegen an der Lebensader des Viertels. Rund hundert am Ostertorsteinweg, die anderen auf der Steintorseite. Jetzt gibt es einen weniger: Alfred Moßdorf, Farben und Lacke. Ist das schlimm? Ja.

Immerhin war es der letzte von früher fünf Malerbedarfen vor Ort, und Udo Mann war nicht irgendjemand – sondern so etwas wie Mister „Guter Rat in allen Renovierungslagen“ für die ViertelbewohnerInnen. Damit ist nun Schluss: für Herrn Mann, weil er mit 66 auch mal was anderes machen möchte, und für potenzielle Nachfolger, weil sich eine Geschäftsübernahme angesichts der Baumärkte-Konkurrenz nicht lohnt. „Woanders kann man mit weniger Arbeit mehr Geld verdienen“, sagt Mann klipp und klar. Und das hätten auch seine drei Söhne so gesehen.

Udo Mann ist jemand, der eigentlich gar nicht porträtiert werden möchte. Man muss es aber trotzdem schreiben: Wenn er in seinem stets blütenweißen Kittel vor einem stand und mit der Akribie eines Drogisten die vermaledeite Feuchte-Wand-Stelle erörterte, war man irgendwie beruhigt. Und ging mit einem im Baumarkt gar nicht auffindbaren Spezialmittel nach Hause und fachlich gestärkt ans Werk. An treuen Kunden hat es Mann deswegen nie gemangelt, die allermeisten gehörten allerdings zur Kategorie Klein- und Kleinstkunden.

Mann übernahm den vor 70 Jahren von Alfred Moßdorf in der Neustadt gegründeten Laden 1988, nachdem er dort bereits 19 Jahre als Angestellter gearbeitet hatte. Eigentlich hatte er Koch gelernt, bei Grünzeug reagierte seine Haut allerdings allergischer als später auf Farben und Lacke. Der Laden Vor dem Steintor 93 hatte Charme: Leicht verblasste Werbungen à la „Hilfe, es zieht – höchste Zeit für Tesamoll“ hingen über Regalen mit Parkettglanz der „Firma Dr. Schutz“. Ganz wichtig: Die breite Palette an Tischbelägen und geschmacklichen Spezialitäten wie kratzfester Brillantfolie. Eine Zeitlang, erzählt Mann, habe er im norddeutschen Raum als führender Anbieter in Sachen Lackfolie gegolten.

Warum funktioniert das alles nicht mehr? Neben Baumarkt-Konkurrenz und der verringerten Bereitschaft, die Einzelhändler-Mühen auf sich zu nehmen, verweist Mann auch auf die umstrittene Umgestaltung der Steintorstraße vor acht Jahren. Die Einschränkung der Parkmöglichkeiten habe ihn und seine Einzelhandelskollegen um die Kundschaft von außerhalb gebracht, immerhin 20 Prozent des Umsatzes. Letzteres sieht Ortsamtsleiter Robert Bücking allerdings anders: Grund für die Einzelhandelsprobleme seien nicht ein paar illegale Parkplätze weniger, sondern strukturelle Veränderungen wie die „Ausdünnung der Bevölkerung“. Im statistischen Schnitt erweitere sich die Nutzfläche jedes Einwohners alle zehn Jahre um einen Quadratmeter, summa summarum habe das kommerzielle Einzugsgebiet des Steintors (dazu zählen auch Barkhof-Viertel, das vordere Schwachhausen und Hastedt) in den vergangenen 30 Jahren 20.000 Menschen verloren. Viele Zahlen, eine Message: Im Viertel als „Innenstadtergänzungslage“ ist es schlicht und einfach schwer, so genannte „Kofferraum-Angebote“ aufrechtzuerhalten. Denn was en gros ins Auto passt, kaufen die meisten eben auch im Großmarkt – wo die Billigfarbe durch teure Bohrmaschinen subventioniert wird. Insofern sei Manns Produktpalette gewissermaßen „anachronistisch“ gewesen.

Jedes Jahr gibt es im Viertel circa 30 Geschäftswechsel. Das dabei gefürchtete „Downgrading“ (zum Beispiel der Einzug eines Discounters in die früheren Räume eines Fachgeschäfts) kann dabei laut Bücking im Ostertor weitgehend vermieden werden. Auch die Situation am Sielwall sieht er als relativ stabil. Die Problemzone: das hintere Steintor, etwa ab Höhe Schauburg – wo bis jetzt Udo Mann seinen Laden hatte. Mitte Januar soll dort eine Tenter-Filiale mit Kaffeeausschank einziehen.

Um es positiv zu sagen: Das dortige Bäckerei-Angebot wird sich künftig weiter ausdifferenzieren, aufbauend auf einem schon jetzt beachtlichen Bestand aus Effenberger, Wiener Feinbäckerei, dem Vollkorn-Günstigkonzept „Gutes von gestern“ und einigem mehr. Henning Bleyl

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