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ZIMMERGENOSSE BAUMBenjamin muss raus

„Jetzt musst du raus!“ – „Draußen ist es so kalt“

„So, jetzt gehen wir schlafen; das wird prima.“ Ich redete mit mir wie mit einem Kind. Ich war schon eine Weile eher schlecht drauf und warf mir vor, mich in diesem Zustand eingerichtet zu haben. Aber eigentlich sprach ich mit dem Baum, der schon seit – keine Ahnung wie vielen – Jahren in meiner Wohnung herumsteht. Er hatte schon in der vorvorletzten Wohnung gestanden und in der Wohnung danach natürlich auch. Eine Zeit lang hatte ich ihn sogar gemocht. In der vorvorletzten Wohnung hatte ich mich oft darum bemüht, ihn so in den Raum zu stellen, dass es okay aussieht.

Manchmal, ganz kurz nur, in einem Sommer vor zehn Jahren, hatte es auch einmal okay ausgesehen am späten Nachmittag. Sonnenlicht war durch die Blätter gefallen. Die Vorhänge bewegten sich im Wind, und die Schatten der Blätter auf dem matt glänzenden Parkett hatten irgendwie nostalgisch ausgesehen; man hatte sich zurückgelehnt und gedacht: „Prima.“ Dann war dieser Baum nur noch da gewesen; wie ein Möbel, das man nicht braucht, das aber auch nicht so sehr stört, dass man es tatsächlich wegschmeißen wollte. Sehr pflegeleicht.

Und als dann diese zwei jungen Männer von dem schwulen Internetfernsehsender zu Besuch waren, um mit mir über die Nachtigall von Ramersdorf zu sprechen, als sie fragten, ob sie „diesen Benjamin da“ von da nach da stellen dürften, weil er grad im Wege stehe, hatte ich zum ersten Mal seinen Namen gehört. Davor war mir nicht einmal aufgefallen, dass ich nicht wusste, wie er hieß.

„Jetzt musst du raus!“ – „Draußen ist es aber so kalt …“ Gut, dann bleibst du eben drinnen. Wenn es wieder Sommer wird, stell ich dich aber raus. Eine Weile wirst du allein sein; dann wird jemand kommen und dich mitnehmen. „Ist das okay für dich?“ Mit einem nassen Tuch wischte ich den Staub von seinen Blättern. DETLEF KUHLBRODT

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