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„Da ist nichts gewachsen“

SPITZENREITER Die Fußballer des VfL Wolfsburg sind auf Meisterschaftskurs, aber ihre Stadt kennt niemand. Ein Gespräch über Wolfsburg mit den Künstlern Max und Wolfgang Müller, die als Brüder in Wolfsburg aufgewachsen sind

Max und Wolfgang Müller

MAX MÜLLER, 45, ist Sänger der Band „Mutter“, Autor und Zeichner. Nach seinem Umzug von Wolfsburg nach Berlin 1981 spielte er unter anderem in der Band „Vroammm!“ Bass und Gitarre. 2001 erschien sein Buch „Musikcafé Wolfsburg“. Als Solist veröffentlichte er 2008 die CD „Die Nostalgie ist auch nicht mehr das was sie einmal war“. Max Müller wuchs mit Blick auf das VW-Werk auf und hat keinen Führerschein, hätte aber nichts dagegen, einen zu haben.

WOLFGANG MÜLLER, 51, studierte an der Berliner Hochschule der Künste, gab 1982 das Buch „Geniale Dilettanten“ heraus und spielte in der Band „Die tödliche Doris“. 1998 gründete er nach der Schließung des staatlichen Goethe-Instituts in Reykjavík das weltweit erste „private Goethe-Institut“. Wolfgang Müller hat wie sein Bruder keinen Führerschein und begründet das unter anderem mit einer Aversion gegen das Auto als Statussymbol. kli / Foto: Julia Baier

INTERVIEW KLAUS IRLER

taz: Herr Max Müller, Herr Wolfgang Müller, lassen Sie uns VW und den VfL aus Wolfsburg rausrechnen. Was bleibt dann übrig?

Wolfgang Müller: Wolfsburg ist eine hochinteressante Stadt. Es ist neben Salzgitter eine der beiden Nazi-Stadtgründungen.

Max Müller: Die Stadt kam aus dem Nichts, und das gibt es nicht oft. Es ist eine Arbeiterstadt, die um das VW-Werk herum geplant wurde. Eine Altstadt gibt es nicht.

Warum sind Sie von dort weggezogen?

Max Müller: Ich war 17 und wollte nicht zur Bundeswehr und sowieso nach Berlin. Ich wollte in eine Stadt, in der jeder rumrennt, wie er will, und sich niemand daran stört. Das gab‘s in Wolfsburg nicht. Ich war Punk und das ist ein reiner Spießrutenlauf gewesen. Andererseits machte das auch Spaß. Weil es da nichts gab, musste man alles selber machen. Wir haben dann kleine Festivals organisiert. Ich konnte mich da gut verwirklichen.

Wolfgang Müller: Ich habe Mitte der 1970er eine Schwulengruppe in Wolfsburg gegründet. Ganz politisch. Die einzigen, die uns einen Raum gegeben haben, waren die Leute von der Arche, einer als linksradikal verschrieenen Kirche. Es ist schon auffällig, dass es die Kirche war, die uns einen Raum gegeben hat. Wie im Osten vor der Wende, wo es keine Struktur für alternative politische Gruppen gab. Dann habe ich eine Theaterveranstaltung mit Musik von Ton, Steine, Scherben gemacht, da kamen 400 Leute. Drei Tage später bin ich nach Berlin gezogen, weil ich dachte: Mehr kann ich hier nicht machen.

Was denken Sie sich heute über die Möglichkeiten in Wolfsburg?

Wolfgang Müller: Die Stadt zwingt die Leute möglicherweise, sich über Identität Gedanken zu machen. Weil dort keine Basis gegeben ist. In Wolfsburg gibt es wenig gewachsene Strukturen und dann muss man sich die Strukturen herholen. Wie das Kunstmuseum. Oder den VfL.

Was fällt Ihnen an Veränderung auf, wenn Sie heute nach Wolfsburg zurückkehren?

Max Müller: Da stehen immer neue Sachen da und alte Sachen sind weg. Wolfsburg hatte zum Beispiel unheimlich schöne Tankstellen. Die letzte Tankstelle vor der Autobahn war so eine wunderbare 50er-Jahre-Tankstelle, gebaut wie ein Nierentisch. Da kommt jetzt ein Burger King rein, habe ich gehört.

Waren Sie schon im Stadion beim VfL?

Max Müller: Ja. Das war super. Die anderen Fans kamen aus Freiburg und haben immer gleichzeitig so Wellenbewegungen gemacht. Das war eine tolle Stimmung, da merkte man, dass was gewachsen ist. Bei den Wolfsburger Fans merkt man, dass da nichts gewachsen ist. Die Wolfsburger gehen nur zu den Spielen, solange der VfL gewinnt.

Wolfgang Müller: Das ist ähnlich wie beim Kunstmuseum. Das ist eines der größten deutschen Museen für moderne Kunst und ist wie ein Ufo in der Stadt gelandet. Das hat mit der Stadt nichts zu tun. Als die dort die große Nan Goldin-Ausstellung gemacht haben, hatten sie nicht gemerkt, dass Goldin in New York die meisten Fotos meiner Band „Die tödliche Doris“ gemacht hat.

Trotzdem scheint die Erinnerung an Wolfsburg keine starken Emotionen wie Liebe oder Hass bei Ihnen auszulösen.

Max Müller: Ja, die Leute aus München, Dortmund oder Bielefeld haben eine größere Bindung zu ihrer Heimatstadt. Aber ich fand‘s immer schick aus Wolfsburg zu kommen, weil keiner die Stadt kannte.

Wolfgang Müller: Es ist schwer, mit Wolfsburg Liebe oder Hass zu verbinden. Ich will nicht sagen, dass ich der Stadt neutral gegenüber stehe. Aber es ist schwierig. Ich bin ja ganz oft in Island gewesen: Reykjavík hat was von Wolfsburg. Da ist kaum ein Haus älter als 100 Jahre.

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