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Von Kerlen und Festen

2004 jährte sich das Cannabisverbot in Deutschland zum 75. Mal, auf dem Schreibtisch liegt immer noch die „Beitrittserklärung zur Gruppensterbegeldversicherung“, und die 6-stündige John-Peel-Abschiedssendung „Keep it Peel“ war Jahreshöhepunkt

VON DETLEF KUHLBRODT

Zwischen Weihnachten und Neujahr ist es immer still. Das kommt daher, dass man zuvor so sehr auf Weihnachten als Jahresabschluss konzentriert war. Fußballmäßig gesprochen wäre Weihnachten das Finale der Bundesliga und Silvester das Pokalendspiel gegen einen Zweitligisten und die Zeit dazwischen wie jetzt.

Oder man könnte Weihnachten auch mit Bungeespringen vergleichen: Am ersten und zweiten Weihnachtstag schwingt man am Bungeeseil noch ein bisschen hoch und runter. Und die Jahreszwischenzeit danach ist, vor allem, wenn man kaum noch ernsthafte Verpflichtungen hat, die Zeit, in der man die Bungeespringanlage beeindruckt verlässt, nach Hause geht, sich vor den Fernseher setzt und jahreszeitlich passende Filme (Vier-Schanzentournee!) guckt. Oder auch nur die Trailer für Werke, deren Helden „jung, drogensüchtig und tot“ sind.

Übrigens jährte sich am 10. Dezember 2004 das Cannabisverbot in Deutschland zum 75. Mal. Davor hatte ein Kilo Hasch im Großhandel 10 bis 12 Reichsmark gekostet. Auf dem Schreibtisch liegt immer noch die „Beitrittserklärung zur Gruppensterbegeldversicherung (bis Alter 80)“, die mir die Gewerkschaft geschickt hat, und außerdem höre ich schon seit zwei Wochen John Peel. Genauer gesagt, die sechsstündige schöne Abschiedssendung für John Peel, die am 16. Dezember lief und von 19 europäischen Radiostationen übertragen wurde.

Peel, der letzte große Popmusikenzyklopädist, war ja am 26. Oktober im Urlaub gestorben. Die John-Peel-Nacht hatte unter dem Motto „Keep it Peel“ gestanden. Es gab ein einstündiges Feature über den einflussreichsten und nettesten DJ der Welt, der sich 40 Jahre lang immer wieder für neue Musik begeistern konnte und viele Bands und DJs bei seinen Peel-Sessions Platten aufnehmen ließ.

Das am häufigsten gebrauchte Wort in dieser Nacht, die ich auf Kassette aufnahm, war „marvellous“, und ständig dachte man, wie klasse doch britisches Englisch klingt. Auch im Trauerfall, also dieses „he passed away“. Und die Popmusikgeschichte, deren zivilutopisches Ideal ununterbrochen verraten wird von den Sendern, die die besten Hits der 60er, 70er, 80er, 90er spielen, zog noch mal vorbei. Rock ’n’ Roll, Beatmusik in Haschwolken, Punk und Techno.

Das Zarteste stand neben dem Härtesten, und man wunderte sich ein bisschen, was für harte Musik man doch selbst auch immer gehört hatte. Und weil man das ja auf Band hat, hörte man das mehrmals, und die harten Sachen wurden dann wieder weicher. Morgens und in der Nacht sang Nick Cave „Where she goes my little world“, Hefner sangen „Not good enough for whisky, not good enough for me“, Steveless machte Krach, und zwischendurch gab es immer wieder Geschichten.

Wie Peel damals für die Undergroundzeitung „Gandalfs Garden“ geschrieben hatte oder mit seinem Freund Marc Bolan Märchen im Radio vorgelesen hatte, und man dachte dauernd, was für ein toller Mann das doch war: „an ordinary bloke with an extra-ordinary love for music“.

In irgendeinem BBC-Studio rief jemand bei so einem extraharten DJ-Set immer wieder „John“, und am Ende gab es dann so ein hypnotisches Set von Underworld, in dem tonlos so eine Flughafenfrauenstimme in einer Endlosschleife sagt: „Criminals, Junkies, Fugitives“.

Und der hiesige Radiosender Radio eins beendete seine Direktübertragung, als die Toten Hosen mit ihrem „Eisgekühlten Bommerlunder“ anfingen. Diese John-Peel-Nacht war jedenfalls so mein Jahreshöhepunkt.

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