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Angst und Armut auf der Insel

MADAGASKAR Zwei Monate nach dem gewaltsamen Umsturz und der Machtübernahme des jungen Präsidenten Rajoelina ist kein Ende der Krise in Sicht. Gespräche geplatzt

Inzwischen ist Mehl doppelt so teuer wie vor einem Jahr – und wird vermutlich noch teurer werden

AUS ANTANANARIVO MARC ENGELHARDT

Louise hat ihren Grill gleich neben der Hauptstraße aufgestellt. Am Wochenende gehören die Grasstreifen rechts und links den Städtern: Das Sonntagspicknick hat in der Inselrepublik Tradition. Für viele Arbeiter ist es die einzige Chance, der drei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt, „Tana“ genannt, wenigstens für ein paar Stunden zu entfliehen. „Aber seit dem Regierungswechsel kommen immer weniger“, erklärt Louise, während sie kleine Hähnchenspieße auf den Rost über der glühenden Holzkohle legt – das Stück verkauft sie für 200 Ariary, etwa fünf Eurocent. „Und wer kommt, gibt weniger aus, es hat ja kaum noch jemand Arbeit.“

Vor gut zwei Monaten hat Madagaskar einen Umsturz erlebt: Andry Rajoelina, gerade einmal 34 Jahre alt, erfolgreicher Unternehmer, kurzzeitiger Bürgermeister der Hauptstadt und ehemaliger DJ, setzte sich nach blutigen Protesten gegen den rechtmäßig gewählten Präsidenten Marc Ravalomanana mit mehr als 100 Toten durch und errang die Macht mit Hilfe der Armee. Aber die Begeisterung darüber ist abgekühlt. Bei den Armen wächst der Frust. Das Grundnahrungsmittel Reis wird fast täglich teurer. „Dabei hatte Rajoelina doch versprochen, Lebensmittel werden billiger“, ereifert sich Olivier, der sich als Fahrer über Wasser hält. „Reis, Öl, Brot, das alles sollte billiger werden, für kurze Zeit war das auch so.“

Inzwischen aber ist Mehl im Armenviertel „67 Hectares“ doppelt so teuer wie vor einem Jahr – und wird vermutlich noch teurer werden. Denn in ihrem Proteststurm gegen Expräsident Ravalomanana, den reichsten Mann der Insel, zerstörten Demonstranten seine Supermärkte. Was nicht gestohlen wurde, beschlagnahmte die Regierung, erklärt Rainier, der jeden Tag für die Rückkehr des alten Präsidenten demonstriert. Seit diese Vorräte billig verkauft wurden, steigen die Preise wieder. Für neue Importe hat die neue Regierung wegen gestrichener Budgethilfen aus dem Westen kein Geld.

Öffentliche Proteste hat das neue Regime verboten. Trotzdem versammeln sich Rainier und gut tausend andere jeden Morgen hinter einem blauen Bauzaun, wo bis zur Plünderung einer von Ravalomananas Supermärkten stand. „Das ist Privatgelände, da kann uns keiner etwas verbieten“, sagt Rainier, der früher Touristen durch Tana geführt hat. Touristen kommen schon seit Monaten nicht mehr.

Investoren, vor allem im Minensektor, halten sich zurück. Bislang hat der neue Präsident noch kein Regierungsprogramm bekannt gegeben, Unternehmer warten ab. Viele Gelegenheitsarbeiter in einem der ohnehin schon ärmsten Länder der Welt sind deshalb ohne Job. Auch in der Bevölkerung ist die Stimmung angespannt. Rajoelinas Kritiker wollen meist nicht ihre Nachnamen nennen. Seine Befürworter geben sich dagegen kämpferisch.

„Ravalomanana hat doch nur in die eigene Tasche gewirtschaftet“, wütet die Unternehmerin Mami Rabemanana. Jeden Tag wird über neue Skandale berichtet: Die alte Regierung soll einem russischen Unternehmen Schürfrechte gegen Waffentechnik verkauft haben, das Parlament war nie eingeschaltet. Das Gleiche gilt für die mittlerweile gestoppte Verpachtung von 1,2 Millionen Hektar Land an den koreanischen Konzern Daewoo für den Anbau von Futtermais und Ölpalmen. Um Bauland zu verkaufen, ließ Ravalomanana angeblich sogar die Leichname der alten vorkolonialen Königsdynastie aus ihren Gruften entfernen und quer durch die Stadt an einen neuen Ort verlegen – ein Sakrileg. Zölle und Steuern, so behauptet der neue Finanzminister, zahlte Ravalomanana nie: Eine halbe Milliarde Euro soll er dem Staat schulden.

So aufgeheizt ist die Lage, dass niemand an eine Versöhnung glaubt. Von UNO und AU vermittelte Krisengespräche platzten diese Woche, als Rajoelina eine Rückkehr Ravalomananas aus dem Exil ablehnte. Davor hatten sich beide Seiten zunächst nur auf Neuwahlen innerhalb von 14 Monaten geeinigt. Wahrscheinlich ist auch eine Generalamnestie, was beiden Seiten zupass kommt. Doch wie die Macht innerhalb einer die Wahlen vorbereitenden Übergangsregierung verteilt werden soll, kann sich niemand vorstellen.

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