die gefühle der charakterschweine von HARTMUT EL KURDI:
Im „Niedersachsenlied“, der 1934 verfassten Landeshymne, heißt es: „Wo fielen die römischen Schergen? Wo versank die welsche Brut? In Niedersachsens Bergen, an Niedersachsens Wut. Wer warf den röm’schen Adler nieder in den Sand? Wer hielt die Freiheit hoch im Deutschen Vaterland? Das war’n die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen, Heil Herzog Widukinds Stamm.“
Nun kann man den Durchschnittsniedersachsen kaum für das hirn- und trostlose Lied verantwortlich machen, zumal die meisten den Auf-die-Fresse-Text gar nicht präsent haben. Diesen unhaltbaren Zustand versucht die CDU allerdings seit ihrer Machtübernahme im Frühjahr 2003 zu verändern, indem sie das Lied wieder vermehrt bei offiziellen Anlässen spielen und gern auch von Ministern … – ja, „singen“ ist da wohl das falsche Wort – … grummeln, grölen und mumpfen lässt.
Aber auch inhaltlich gibt sich Ministerpräsident Christian „Slowface“ Wulff alle Mühe, den Geist des höhlenmenschlichen Widukind-Stammes-Liedgutes lebendig zu halten. Um in Sachen Dicke-Hose-Machen nicht hinter seinem innerparteilichen Konkurrenten Roland Koch zurückzufallen, propagiert Wulff mit Hilfe seines Innenministers Schünemann seit kurzem ein Bürgerwehrkonzept ähnlich dem hessischen. Bald sollen überall unqualifizierte Hilfspolizisten patrouillieren und gegen „Lärm, aggressives Betteln, Verschmutzung und Graffiti“ vorgehen. Aber da Wulff und Schünemann – vermutlich leider zu Unrecht – befürchten, dass sich nicht genügend psychopathische Freiwillige finden, die gern „Ausweise kontrollieren“, „Platzverweise aussprechen“ und auf andere Arten Leute schikanieren, erwägen sie bereits, Langzeitarbeitslose im Rahmen von Ein-Euro-Jobs für die Blockwart-Tätigkeit zu verpflichten.
Und an dieser Stelle heißt es, Haltung annehmen und salutieren, die Hymne auf den Lippen: Arbeitslose auf Bettler hetzen – Respekt, darauf muss man erst mal kommen! Wenn es einen Wanderpokal für neoliberale Charakterschweinereien gäbe, dann wäre jetzt Schluss mit Wandern, und der Pokal fände in Wulffs Staatskanzlei eine ehrenvolle Vitrinen-Dauerheimstatt.
Während sich sogar die Polizei an den Kopf fasst, trifft der Irrsinn im Rathaus der zweitgrößten Stadt Niedersachsens, in Braunschweig, beim Ex-NPDler und CDU-Rechtsaußen Gert Hoffmann auf einen jubelnden Vollstrecker. Der Braunschweiger OB findet die Idee nämlich „großartig“ und paradiert Gerüchten zufolge schon in freudiger Erwartung der Umsetzung im Hilfspolizistenanorak in seinem Büro auf und ab, dabei Blaskapellengeräusche mit dem Mund machend. Nach außen desinformiert Hoffmann heiter: „Dadurch kann gerade in einer Großstadt wie Braunschweig mindestens das persönliche Sicherheitsgefühl unserer Bürger gestärkt werden.“ Und verrät damit, worum es eigentlich allen Sicherheitspolitikern geht: Um Virtualität, Fake, Politiksimulation. Wichtig ist nicht etwa, dass die Stadt, das Land, der Flughafen sicher ist, wichtig ist vielmehr, dass das „Sicherheitsgefühl“ gestärkt wird. So funktioniert Deutschland im Jahre 2005: irrational, autoritär und vor allem gnadenlos gefühlig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen