piwik no script img

Das 60-Minuten-Experiment

Einige Schulen in NRW haben den Unterricht im 60-Minuten-Takt eingeführt – und das mit Erfolg. Es bleibt mehr Zeit für Gruppenarbeit und Experimente, die SchülerInnen sind ruhiger geworden

aus BIELFELDUWE POLLMANN

„Wir schließen jetzt den Stromkreis.“ Im Physikunterricht einer zehnten Klasse der Gesamtschule Rosenhöhe in Bielefeld haben drei Schüler ein Experiment aufgebaut. Thema: Wie beeinflusst ein Magnetfeld einen Strom durchfließenden Leiter. „Was kann man beobachten? Ja, Harry!“ Die drei unterrichten ihre Mitschüler. Früher, in einer 45-Minuten-Stunde, war dafür wenig Zeit. Heute – beim 60-Minuten-Unterricht – gibt es das öfter, sagt Lehrerin Gabriella Mashäuser: „Man hat mehr Möglichkeiten, schüler- und handlungsorientiert zu arbeiten. Man kann die Schüler in die Planung einbeziehen und hat mehr Zeit, die Probleme anzusprechen.“

Die Schüler sehen das mehrheitlich ebenso: „In den naturwissenschaftlichen Fächern gibt es mehr Partnerarbeit, Gruppenarbeit, mehr Experimente“, sagen sie. Auch im Kunstunterricht, ein paar Räume weiter, schätzen die Siebtklässler den neuen Unterricht im 60-Minuten-Takt: „Ist besser, weil man viel mehr schafft und nicht so schnell unterbrochen wird.“

Die Grundstimmung zur jetzt vollen Schulstunde ist positiv, sagt auch Schulleiter Diderk Wirminghaus. Das habe eine Umfrage unter Schülern, Eltern und Lehrern ergeben. Auch die Leistungen stiegen: Noten zwischen eins und drei überwogen. Wobei die Pennäler der Bielefelder Gesamtschule auch die Grenzen deutlich machen. „Dort, wo viel Praxis gemacht wird, da lohnt sich das. Aber in Mathe, Englisch, Französisch und Deutsch kann es auch anstrengend sein.“ Dennoch will die Mehrheit das neue Modell behalten.

Vor vier Monaten hatten die Bielefelder die Verlängerung der Schulstunden eingeführt. Vorbild war die Gesamtschule Schwerte, die das bereits seit sieben Jahren praktiziert und beim Pisa-Test äußerst erfolgreich war. „Wir glauben schon, dass da die volle Schulstunde einen Einfluss hatte“, sagt die didaktische Leiterin der Schwerter Schule, Heike Sobol-Rump. „Die Kinder können jetzt selbstständiger arbeiten.“

Eine ganze Reihe anderer Schulen wurden aufmerksam. Schulleiter und Lehrer aus Hagen, Dortmund, Bonn, Gütersloh oder eben Bielefeld haben sich in Schwerte schlau gemacht. Auch die Gütersloher Janusz-Korczak-Gesamtschule stieg um. Seine Schüler gaben dem neuen Modell die Note 2,5, die Lehrer 2,1 und die Eltern 1,8. „Eine Revolution des Unterrichts“ sei das gewesen, sagt begeistert der dortige Leiter Christian Ladleif. Das Ganze bedeute natürlich Umorganisation. Man müsse die Unterrichtsstunden ganz anders planen.

„Allerdings schafft man mehr als früher“, ergänzt der Bielefelder Gesamtschul-Rektor Diderk Wirminghaus. „In jeder Stunde hat man eine Anfangsphase und eine Ausklangphase. Wenn ich mehrmals solch kurze Einheiten pro Tag habe, summiert sich das. Wenn ich aber den Hauptteil länger habe, schaffe ich mehr.“

Jedoch ergaben sich auch Probleme im neuen reduzierten Stundenplan, der vormittags vier und nachmittags zwei volle Stunden vorsieht. Denn da die Schulstunden jetzt länger sind, wurde die Stunden-Anzahl pro Fach gekürzt. Darunter hätten vor allem die Sprachfächer stark gelitten, so Wirminghaus. „Für die ist es wichtig, dass sie mehrmals pro Woche Wiederholungsphasen haben.“ Also habe man mittags häufiger „kürzere Phasen vorgesehen“.

Messbare Ergebnisse des 60-Minuten-Unterrichts können Ladleif und Wirminghaus zwar erst in zwei Jahren bieten, wenn das System überprüft werde. Doch eines merkt Diderk Wirminghaus beim Gang durch seine Schule schon: „Es ist ruhiger geworden. Die Schüler haben einfach weniger unterschiedliche Ereignisse pro Tag.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen