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„Alles hohle Luft“

Am Freitag fand in Kiel die letzte Sitzung des schleswig-holsteinischen Landtags vor den Wahlen am 20. Februar statt. Ein Bericht vom Endspurt der RhetorikerInnen im Kampf um Wählerstimmen

Könnte ja sein, dass ein scharfes Zitat oder eine schwungvolle Rede Widerhall findet und man irgendwo erwähnt wird

von Esther Geißlinger

Vor der Glasfassade gehen zwei Männer in grünen Westen mit einem Schäferhund an der Leine vorbei, der Hund schnappt in die wirbelnden Schneeflocken und schaut sich zu seinem Herrchen um, ob er was Sinnvolles tun darf, vielleicht Kaninchen jagen. Aber das geht nicht, der Hund ist im Dienst, er muss die Demokratie bewachen, die hinter der Fassade spielt: Dort läuft die letzte Landtagsdebatte des Kieler Landtags in der Wahlperiode 2000 bis 2005.

Finanzminister Ralf Stegner (SPD) schnappt in Richtung Opposition: Wortbrüchig wolle sie werden, provinziell sei das, „aber da wedelt der gelbe Schwanz wieder mit dem schwarzen Hund“. Wenig später bellt Rainer Wiegard von der CDU zurück gegen die rot-grüne „Roberto-Blanco-Connection“ und ihr Motto “Heute so, morgen so“.

Worum geht es noch gleich? Um den Verkauf oder Nicht-Verkauf der Landesanteile an der HSH Nordbank. Aber eigentlich geht es darum, dass in knapp drei Wochen gewählt wird in Schleswig-Holstein, und dass die Blöcke dicht beieinander liegen – es geht in dieser dreitägigen Debatte ein letztes Mal darum, sich auf der Landtagsbühne zu präsentieren: den Kollegen, den Zuschauern, den Medien. Könnte ja sein, dass ein scharfes Zitat, eine schwungvolle Rede Widerhall findet, dass man irgendwo erwähnt wird und damit vielleicht noch ein paar Stimmen gewinnt.

Natürlich geht es auch um die Sache – jeder der Abgeordneten würde das bestätigen. Um die Sache geht es schließlich immer. Fast 70 Punkte umfasst die Tagesordnung der dreitägigen Debatte, angefangen von Maulkörben für Kampfhunde über Pisa II, Schiffsliegeplätze und den Rechten von Sinti und Roma in der Landesverfassung bis hin zur Finanzlage der Kommunen. Aber die jeweilige Sache lässt sich ja schön rhetorisch verpacken: „Bei Ihnen ist die Erde wohl noch eine Scheibe“, höhnt Heiner Garg (FDP) in Richtung Regierungsbank. Wenn die FDP erstmal Regierungspartei sei, dann „werden wir die Bankenanteile verkaufen, da können Sie dann als Opposition wettern“ Monika Heinold von den Grünen und Anke Spoorendonk vom SSW betonen die Bedeutung der Sparkassen für den ländlichen Raum. Keine Abstimmung, Tagesordnungspunkt beendet. Der Hund und seine Begleiter drehen eine weitere Runde vor dem Fenster.

Auf der Zuschauertribüne sitzt eine Gruppe Polizeischüler und lauscht interessiert. Unten im Plenarsaal herrscht ein beständiges Kommen und Gehen, Abgeordnete flüstern miteinander, Spoorendonk leiht sich ein Taschentuch von SSW-Mann Lars Harms, Ministerpräsidentin Heide Simonis blättert in der Zeitung, Holger Astrup (SPD) wundert sich über Thomas Stritzl (CDU), der gerade den Vorsitz am Präsidentenpult innehat: Es dauert lange fünf Minuten, bis über den Antrag der CDU abgestimmt wird, von der Regierung etwas über Ausgaben und Einnahmen der Kommunen zu erfahren. Natürlich wird der Antrag abgelehnt, und natürlich spricht Finanzminister Stegner auch über die Ausgaben, weil Einnahmen allein nichts aussagen. „Alles hohle Luft“, kommentiert Klaus Schlie (CDU), der Innenminister werden will. „Eine tolle Rede, damit sollte er beim Rosenmontagszug auftreten“, spottet Ursula Kähler (SPD) zurück.

Für sie, bisher Vorsitzende im Finanzausschuss, ist es die letzte Rede im Landtag – sie gehört zu den 23 Abgeordneten, die sich am 20. Februar nicht zur Wahl stellen. Vor allem bei der SPD treten viele Altgediente nicht mehr an, darunter der Landtagspräsident Heinz-Werner Arens. Der flächendeckende Verzicht hängt auch damit zusammen, dass nach einer Reform der Wahlkreise im neuen Landtag weniger Sitze stehen werden – entsprechend kürzer sind die Listen der Parteien. Wer freiwillig geht, wird nicht abgewählt. Falls der eine oder andere wehmütig überlegt, dass dies das letzte Mal sein könnte, lässt es sich niemand anmerken.

Auf der Zuschauertribüne ersetzt eine Seniorengruppe die Polizeischüler, in der Lobby warten Jugendliche auf ihre Stunde auf der Empore. Drinnen im Saal wird Anke Spoorendonk grundsätzlich: Entscheidungen sollten nicht davon abhängen, ob eine Partei gerade an der Regierung oder in der Opposition sei. Es müsse eine Wertediskussion geben: „Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen? Das wird nirgends diskutiert.“ Jedenfalls nicht im Kieler Landtag, drei Wochen vor der Wahl. Es folgt der nächste Tagesordnungspunkt, man bleibt bei den Routinen. Und die Männer mit dem Hund drehen eine weitere Runde vor dem Fenster.

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