: Leben mit dem Unaussprechlichen
Matte, Oselich, Roerd: Das Friesische ist unendlich reich an eigenwilligen Vornamen. Die Friesen schweißt das zusammen. Was aber passiert, wenn Jung-Arfst in die Fremde zieht? Wäre es nicht leichter gewesen, ein Dasein als Alexander zu fristen?
von Eiken Bruhn
Die Friesen waren ihrer Zeit lange voraus. Außerhalb Frieslands kamen die Menschen erst am Ende des 20. Jahrhunderts auf die Idee, ihren Kindern außergewöhnliche Namen zu geben, die ihnen ihr Leben lang Gesprächsstoff und Erklärungszwang bescheren würden.
Das von Wind und Wetter geprägte Volk nannte jedoch seit Jahrhunderten ihre Kinder so, als wären sie ihnen spontan eingefallen, als Großvater sich am Stockfisch verschluckte: Arfst, Roerd oder Roluf für den Jungen, Kresten, Tadd oder Wubke für ein Mädchen. Viele Namen lassen sich auch jederzeit für beide Geschlechter verwenden, aber das sehen die Außerfriesischen nicht so gerne. Eike dürfen seit einem Gerichtsurteil nur noch Jungs heißen.
42.000 Vornamen hat der ostfriesische Laienforscher Manno Peters Tammena im Laufe der letzten 50 Jahre zusammengetragen. Noch in diesem Leben möchte der Siebzigjährige sie mit ihren Bedeutungen in einem Buch veröffentlichen. Wenn schon immer weniger Menschen die Sprache beherrschen, so soll das Friesische doch wenigstens in den Namen weiterleben.
Das Werk könnte ein Verkaufsschlager werden, denn friesische Namen kommen in Mode, bestätigt Gabriele Rodriguez, Namensberaterin an der Universität Leipzig, einer von zwei Stellen in Deutschland, an die sich Eltern und Standesbeamte wenden, wenn es Unstimmigkeiten über einen Namen gibt.
Immer häufiger gebe es Anfragen auch aus Süddeutschland, aber weniger zu Häme und Tücke, Eimer, Hering und Sardine, Keke, Ikea und Früd als zu sanfteren Varianten wie Meike und Wibke.
Drei Trends sprechen dafür, dass dem friesischen Vornamen die Zukunft gehört. Erstens: Der Elternwille zum Außergewöhnlichen. Schon mal eine Matta oder einen Oselich getroffen? Zweitens: Die Wiederentdeckung der alten Namen.
So ist Ficke urkundlich belegt bis ins 13. Jahrhundert, damals hatte es noch mehr mit Friedrich als mit anderem zu tun. Drittens: Die von Standesämtern verzeichnete Neigung zu nordischen Namen. Ole und Nils sind längst unter den Top Thirty, eine kleine Thorke hingegen wäre noch etwas besonderes.
Es gibt noch andere Gründe, es den alten Friesen gleich zu tun. Der Träger oder die Trägerin des Namens wird nie Probleme haben, sich in der Welt zurecht zu finden. „Man gewöhnt sich an alles“, sagen Ebbe Volquardsen, Arfst Braren und Ocke Meister. Alle drei sind gebürtige Nordfriesen, die sich nach der Schulzeit – während der sie ohne weiter aufzufallen neben einer Göntje oder einem Hark gesessen haben mögen – mit ihrem Namen in die Welt getraut haben. Dort wurde die Amtlichkeit ihrer Namen wieder und wieder bezweifelt, außerdem falsch oder gar nicht prononciert.
„Meine Großmutter hat es nie geschafft, den Namen auszusprechen“, sagt Arfst Brarens Frau, die es aus dem Ruhrgebiet nach Föhr verschlagen hatte. Anderen baute der „Wyker Jung“ eine Buchstabier-Brücke: Arfst wie darfst ohne „d“. Mit der Folge, dass er versehentlich „Annst“ genannt wurde – wie kannst, nur ohne „k“.
„Und wie heißt Du richtig?“ ist die Frage, die Ocke Meisters Freundin motivierte, ihm ein T-Shirt mit seinem Namenszug zu schenken. Das hätte Ebbe Volquardsen in seinen ersten Discojahren gut gebrauchen können. Seine Erfahrung: „Es wäre schon leichter gewesen, einfach zu sagen ’Hallo, ich bin Andreas und wer bist Du?’ “
Andererseits garantieren friesische Namen immer ein paar Minuten Konversation, auch wenn es nur um eine Anmeldung beim Zahnarzt geht. „Den Vornamen habe ich ihnen gerade schon genannt. Der Nachname ist Bruhn, der Vorname Eiken. Ach, es gibt einen Stadtteil von Mönchen-Gladbach, der so heißt? Dascha mal ’n Ding. Ob ich Türkin bin? Mit Ay? Nein, ich bin kein Mann, ja, den Namen Eike gibt es auch.“
Doch das allerbeste findet Ocke Meister an seinem friesischen Vornamen: „Man ist immer etwas besonderes, ohne etwas dafür zu tun.“
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