: Ausbildung bleibt Mangelware
Die steigende Zahl von Schulabgängern macht die Lehrstellensuche auch in diesem Jahr zum Lotteriespiel. SPD-Landesarbeitsminister Harald Schartau: Ausbildungskonsens dennoch positiv
AUS DÜSSELDORFANDREAS WYPUTTA
Viele Schulabgängerinnen und Schulabgänger in Nordrhein-Westfalen werden auch in diesem Jahr große Schwierigkeiten haben, eine adäquate Lehrstelle zu finden. „Leider können wir auch für 2005 keine Entwarnung geben“, so NRW-Wirtschafts- und Arbeitsminister Harald Schartau gestern vor der Landespressekonferenz. Es bestehe „keine Hoffnung auf eine Trendwende“, muss auch Christiane Schönefeld, Regionalleiterin der Bundesagentur für Arbeit, einräumen.
Als Grund nannten Schartau und Schönefeld die weiter steigende Zahl der Schulabgänger, die erst 2007 ihren Höhepunkt erreicht: Während im laufenden Jahr 213.000 Jugendliche die weiterführenden Schulen verlassen, steigt die Zahl der Schulabgänger bis zum Schuljahr 06/07 auf 223.000. Erst das Jahr 2008 lässt mit 219.000 Schulentlassungen eine leichte Entspannung vermuten.
Über die erstmals vorgestellte Lehrstellenbilanz für das vergangene Jahr zeigen sich Arbeitsminister Schartau und Arbeitsagentur-Chefin Schönefeld dennoch zufrieden. Zwar hätten derzeit landesweit 2.445 Jugendliche noch immer keine Lehrstelle, räumte Schartau, der auch Vorsitzender der nordrhein-westfälischen SPD ist, ein. Ihnen stünden aber 1.619 noch offene Lehrstellen, 650 Plätze in Bereich der neu eingeführten partnerschaftlichen Ausbildung und fast 500 Stellen im Rahmen der so genannten Einstiegsqualifizierung für Jugendliche (EQJ) entgegen. Die „außerbetriebliche Ausbildung“ sei damit auf Null gesunken, lobt der Minister: „Wir setzen erstmals voll und ganz auf die betriebliche Ebene.“
Ein überfälliger Prozess: Bisher wurden viele Ausbildungswillige, die keine Lehrstelle ergattern konnten, häufig in eine Minimalversorgung abgeschoben – und fielen dennoch aus der Statistik. So gelten selbst Jugendliche ohne Ausbildungsplatz, die nur ein Mal in der Woche am Berufsschulunterricht teilnehmen, offiziell als versorgt. Mit der partnerschaftlichen Ausbildung wie der EQJ, einem erweiterten Praktikum für Berufseinsteiger, will Schartau das nun ändern (siehe Kasten).
Bemerkenswert sei auch das Engagement der Wirtschaft, findet der SPD-Chef: Erstmals seit 2000 sei es im vergangenen Jahr gelungen, „den negativen Trend in der betrieblichen Ausbildung zu stoppen“. Die Zahl der Lehrverträge stieg im Vergleich zum Vorjahr um 4,4 Prozent. Damit gilt der von SPD-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement durchgedrückte Ausbildungskonsens als erfolgreich. Große Teile von Partei und Bundestagsfraktion, darunter zeitweise auch SPD-Bundesparteichef Franz Müntefering, hatten dagegen wie viele Gewerkschaftsfunktionäre auf die so genannte Ausbildungsplatzumlage gesetzt: Finanzielle Sanktionen sollten das Unternehmerlager zwingen, seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für mehr Ausbildung nachzukommen.
Dennoch habe keinesfalls die drohende Umlage zu mehr Lehrstellen geführt, betont jedenfalls Hans Georg Crone-Erdmann, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen. Ein „Kraftakt“ wie im vergangenen Jahr sei aber nicht immer zu schaffen, dämpft der Wirtschaftsvertreter weitergehende Erwartungen. „Die Entwicklung des vergangenen Jahres spielte auf niedrigen Niveau“, kritisiert dagegen Norbert Wichmann, Abteilungsleiter berufliche Bildung beim DGB NRW. Gerade nach den „dramatischen Lehrstellenverlusten der vergangenen Jahre“ bleibe das Problem der Ausbildungswilligen, die „in Warteschleifen verdrängt“ wurden, sagt der Gewerkschafter.
Dabei scheint der Landesregierung nicht einmal klar, wie viele Jugendliche zum Teil seit Jahren auf die Chance einer betrieblichen Ausbildung warten. „Derzeit“ lägen dazu keine Zahlen vor, sagt eine Sprecherin des Schulministeriums, das auch die Aufsicht über die Berufsschulen führt. „Das ist kaum zu ermitteln. Es gibt keine Berufsschulpflicht.“ Der DGB hatte dagegen 2004 Schätzungen angestellt – und von bis zu 25.000 beinahe chancenlosen Jugendlichen allein in NRW gesprochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen