: Sex Zweitausendsechs
Erste Vorbereitungen zur Bundestagswahl: Ein Wahlspot mit Edmund Stoiber entsteht
Edmund Stoiber bummelt gerade staatsmännisch durch die Fußgängerzone einer deutschen Kleinstadt, als ein Plakat im Schaufenster seinen Schritt hemmt: „Zuckermädel. Deutsche Girls in Zuckerwatte – Iss dich durch zum Paradies!“ Stoiber glaubt in der Ankündigung die lockende Hand des Schicksals im Spiel. Zum Äußersten entschlossen betritt er das Etablissement und nimmt vor der Bühne Platz. Gerhard Schröder ist auch schon da. Stoibers Züge zucken in fiebriger Erwartung.
Endlich – ein Raunen geht durch den Saal: Zwei Grazien stapfen auf die Bühne, umhüllt von grotesk wippenden riesigen Zuckerwatte-Kostümen, die nun der Vertilgung harren. Bislang, nuschelt der Conferencier in sein Mikrofon, habe es noch kein Gast geschafft, ein Mädchen völlig von seiner Zuckerummantelung zu befreien. Stoibers Herz wogt im Takt der dezent nölenden Hammondorgel. Er und Schröder schreiten zum Zucker-Duell. Schon nach wenigen Minuten ist klar, dass Schröder keine Chance hat. Atemlose Spannung begleitet Stoibers wollüstig berauschte Vertilgung der Zuckerwatte, das Publikum feuert ihn mit rhythmischem Klatschen an. Und dann hat er es geschafft – zum Vorschein kommt Angela Merkel im schwarz-rot-goldenen Lurex-Trikot.
Als Stoiber triumphierend zum gescheiterten Konkurrenten Schröder blickt, der mit Magenverstimmung auf der Strecke geblieben ist, hört er die ersten Worte aus dem Munde der Entpuppten: „Hallo, ich bin die Angela. Ich wähle CDU – und du …?“ Während die Showkapelle das Deutschlandlied spielt, läuft ein Schriftzug übers Bild: „Angela und Edmund – nie war Politik für Deutschland so süß“.
Was wirkt wie eine Glitzershow aus Las Vegas, ist ein Werbespot, der zurzeit in den Münchner Bavaria-Studios produziert wird und im Bundestagswahlkampf 2006 über die Sender gehen soll. Glamourös wie nie setzt die Union auf die Kraft des Entertainments. Deutschlands Wähler sollen durch einen „funorientierten Wohlfühlwahlkampf“ (Roland Koch) zur Stimmabgabe für die Union animiert werden. Schluss also mit den drögen Programmverlautbarungen vergangener Legislaturperioden.
Die Wahlkampfstrategen der Union haben aber noch ganz andere Ideen auf der Pfanne: Plakate mit verführerischen Bikinimädels, die mit ihren beträchtlichen christdemokratischen Reizen um die Stimmen der männlichen Wähler im innerstädtischen Verkehr buhlen sollen.
Zum Beispiel die 26-jährige Sabine Rehnbald aus dem Sauerland, die im durchsichtigen Negligé für die gesundheitspolitische Kernkompetenz der Union posiert. Oder Miriam Neuwirth, eine Finanzoberinspektorin aus Delmenhorst, die ihre körperlichen Vorzüge hinter einem äußerst fragil wirkenden Bikini aus 500-Euro-Scheinen verbirgt. Die passionierte Strapsträgerin weiß auch als steuerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion stets eine gute Figur zu machen. Ihr Auftritt soll die Info-Elite für den Kurs der CDU begeistern.
Zwei Beispiele, die für viele stehen. Dass die Wahlplakate mit den knackigen Power-Tussen der Union für reihenweise Auffahrunfälle auf deutschen Straßen sorgen werden, ist ein nicht unerwünschter Nebeneffekt: CDU-Mittelstandsförderung pur für Autowerkstättenbesitzer, die sich angesichts der zu erwartenden Reparaturaufträge schon jetzt die ölverschmierten Hände reiben.
Grund für die frühzeitige Wahlkampfplanung: das derzeitige Stimmungstief. Die Nerven der Unionsführung liegen blank. Und Edmund Stoiber tritt in jeden Fettbottich, selbst wenn ihn die NPD aufgestellt hat und die braune Soße nun alle voll spritzt. Nur mit neuartigen und drastischen Mitteln glauben deshalb Merkel und Co. die nächste Wahl noch gewinnen zu können. Doch die „Politik der Neuen Titte“, wie die Kampagne parteiintern genannt wird, hat nicht nur Freunde. Der ansonsten eher einschläfernd salbadernde Bundestagspräsident Wolfgang Thierse lässt sich angesichts der geballten Busen-Offensive unerwartet heftig aus der Reserve locken und redet sich in Rage: „Was die Union da plant, ist ein Ausverkauf des politischen Anstands. Dieses Über-Bord-Werfen christdemokratischer Werte ist eine Verzweiflungstat der CDU-Führung. Wir sehen hier einen Amoklauf einer am politischen Abgrund stehenden Parteispitze, eine Harakiri-Aktion einer ausgebrannten …“ Stopp, Thierse! Wir haben verstanden!
Dabei weiß Thierse noch gar nichts vom Super-Hammer, der in der heißen Phase des Wahlkampfs „ausgepackt“ werden soll: Wenn Busenwunder Gina Wild alias Michaela Schaffrath im Rahmen eines erotischen Polit-Softpornos dem mündigen Bürger die Bedeutung von Erst- und Zweitstimme erklärt, werden sich die Sozialdemokraten ganz schön warm anziehen müssen. RÜDIGER KIND
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen