KINDERWAGEN KOLUMNE VON NINA APIN: Der geballte Schrecken des öffentlichen Personennahverkehrs
Begegnungen mit alten Damen, unfreundlichen Busfahrern und anderen natürlichen FeindInnen des Kinderwagens
Seit ich mit dem Kinderwagen in der Stadt unterwegs bin, fürchte ich S-Bahn-Musikanten. Besonders die mit den Trompeten. Ist das Kind nämlich erst einmal durch ausdauerndes Schieben eingeschlafen, kann es nichts mehr aufwecken. Weder das Fluchen der Mutter über den dauerkaputten Aufzug im S-Bahnhof Bellevue. Noch die blökenden Mit-dem-Fahrrad-bitte-vorne-rein-Lautsprecherdurchsagen am Bahnsteig.
Nur vor Trompeten hat mein Baby Angst. Schon beim ersten Ton fängt sie an zu brüllen. Wenn sich eine dieser dreiköpfigen Balkan-Terror-Combos im Mittelgang aufbaut, versuche ich deshalb so schnell wie möglich außer Hörweite zu fliehen. In der vollbesetzten Stadtbahn zur Mittagszeit gleicht das einem Hindernislauf durch spanische Reisegruppen (Hauptbahnhof), aufgekratzte Schulklassen (Friedrichstraße) und Obdachlosenzeitungsverkäufer (Hackescher Markt), immer mit der Trompete im Nacken.
Wenn ich Pech habe, endet die Flucht abrupt vor den Bequemschuhen einer alten Dame. Alte Damen sind im öffentlichen Personennahverkehr die natürlichen Feindinnen von VerkehrsteilnehmerInnen mit Kinderwagen. Erstaunlich, wie breitbeinig so eine zierliche Weißhaarträgerin plötzlich im Mittelgang stehen kann, wenn man vorbei will. Erstaunlich auch, wie sie es immer schaffen, sich ganz vorne an die Aufzugtür zu stellen, um dann triumphierend den Knopf zu drücken und allein nach unten zu fahren.
Neulich ließ mir eine kleine alte Dame tatsächlich mal den Vortritt. Ich war so verblüfft, dass mich der Schließmechanismus beinahe eingeklemmt hätte. Behände schlüpfte die Alte hinter mir in den Spalt und murmelte, wie zu sich selbst, aber doch laut genug: „Ja, so was passiert, wenn man zu lahm ist.“
Noch schlimmer sind die Busfahrer. Besonders der tätowierte Jungproll, der mit der 200 zwischen Potsdamer Platz und Hauptbahnhof und der 100 Richtung Zoo unterwegs ist. Seine Vorstellung, wie sich Mütter mit Kinderwägen zu verhalten haben, tut er gern per Mikro kund: Als Letzte einsteigen, aber zügig, Platz machen, links parken und hinsetzen. Auch wenn der Bus leer ist.
Kampf mit dem Busfahrer
Da ich allergisch auf gebellte Befehle reagiere, verlief auch unsere zweite Begegnung recht unerfreulich. Beim dritten Mal erkannte er mich schon von Weitem – und hielt so, dass mir der Hintereinstieg durch eine japanische Reisegruppe und geparkte Fahrräder versperrt war. Woraufhin ich mich vorne reinquetschte. Da ließ er den Kopf auf die Arme sinken und jammerte: „Sie können hier doch nicht einfach machen, was Sie wollen!“
Ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen. Und hoffe, dass dann so ein fieser Rockertyp neben mir steht. So wie neulich am Savignyplatz, als zwei gar nicht alte Damen ohne Gepäck den Aufzug kapern wollten. „Mann, sind Sie rücksichtslos“, herrschte er sie an. Und hielt mit seinem Stiefel für mich die bereits schließenden Türen auf.
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