: „Wilder Westen“ bei Iraks Wiederaufbau
Unter der von Paul Bremer geleiteten Übergangsverwaltung der Besatzungstruppen im Irak sind Milliarden US-Dollar einfach verschwunden. Berichte offenbaren Verschwendung und Korruption. Republikaner verhindern Kongressuntersuchung
AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK
Die Bemühungen um einen Wiederaufbau des Irak sind bislang eine Geschichte von Verschwendung, Korruption und Vetternwirtschaft. So drastisch drückte es der Generalinspekteur, der die Finanzgeschäfte der US-Übergangsverwaltung im Irak in Sachen Wiederaufbau überprüfte, natürlich nicht aus. Er nannte es in seinem Bericht vergangene Woche „schwerwiegende Ineffizienz und Missmanagement“. In nur 14 Monaten, der Zeit zwischen April 2003 und Juni 2004, verschwanden knapp neun Milliarden Dollar aus der Kasse der Behörde unter Leitung von Paul Bremer. Niemand kann ihren Verbleib erklären.
Das verschwundene Geld ist jedoch nur ein Beleg für den irakischen Sumpf. Letzte Woche berichtete ein britscher Berater von Ex-Statthalter Bremer der BBC, dessen Behörde habe Bestechungsgelder bis zu 300.000 Dollar im Gegenzug für die Vergabe von Aufträgen angenommen. Derzeit laufen in den USA rund 70 Untersuchungen über mutmaßlich kriminelles Verhalten von US-Firmen im Irak. Halliburton, jenem Energiekonzern, dem Vizepräsident Dick Cheney einst vorstand, wird vorgeworfen, Kosten manipuliert und für erbrachte Leistungen zu viel berechnet zu haben. Andere Firmen erstellten Rechnungen für Projekte, die nie ausgeführt wurden.
Noch immer werden die meisten Aufträge für Vorhaben im Irak nicht öffentlich ausgeschrieben. Eine jüngst veröffentlichte Studie des Center for Strategic and International Studies in Washington kommt zu dem Schluss, dass rund 30 Prozent der Wiederaufbaugelder durch Betrug und illegale Firmenpraktiken verloren gingen. Nur 27 Cent von jedem Dollar Finanzhilfe würden die irakische Bevölkerung am Ende tatsächlich erreichen. Der Rest fließe in die Kassen von US-Unternehmen.
Einige Parlamentarier verlangen angesichts der Missstände endlich Aufklärung. Sie fordern eine unabhängige Untersuchung vergleichbar der von Harry Truman während des Zweiten Weltkrieges. Auch im Senat wurde eine entsprechende Resolution eingebracht. Doch beide Vorhaben liegen seither auf Eis. Die Führungsriege der Republikaner im Kongress, noch vor kurzem empört über die Vorgänge beim „Oil for Food“-Programm der UNO, zeigt kein Interesse.
Am Montag preschten nun die Demokraten weiter voran: Sie hielten im Senat eine eigene Anhörung ab, bei der ihnen der ehemalige Bremer-Angestellte Franklin Willis Rede und Antwort stand: Auch er berichtete von weit verbreitetem Missbrauch und der Verschwendung von Geldern und zeigte Fotos, auf denen er selbst und andere US-Beamte mit riesigen Stapeln abgepackter 100-Dollar-Scheine zu sehen ist. Das Geld sei zur Bezahlung einer privaten Sicherheitsfirma verwendet worden, sagte Willis. Weil das Banksystem nicht funktioniere, habe man stets in bar bezahlt – oft ohne entsprechende Gegenleistung. „Wilder Westen“ nennt Willis die Zustände. Der demokratische Senator Byron Dorgan verglich die im Irak gezahlten Summen mit einem Eiswürfel, der von Hand zu Hand gereicht wird und stets weiter abschmilzt, bis am Ende nichts mehr übrig ist.
Die skandalöse Buchführung der US-Zivilverwaltung in Bagdad ist auch deswegen so pikant, da angenommen werden muss, dass ein Großteil der veruntreuten Gelder gar nicht aus US-Haushaltskassen stammt. Die Hälfte des Geldes, das die Bremer-Behörde ausgab, ist nach Schätzungen irakisches Geld, eingenommen aus Ölverkäufen. Doch niemand weiß genau, wie viel Öl im besagten Zeitraum produziert, legal oder illegal verkauft wurde und ob für die wichtigste irakische Einnahmequelle angemessene Preise gezahlt wurden. Der Grund: Ursprünglich sollte die Verteilung der Öleinnahmen von einer internationalen Monitoring-Agentur überwacht werden. Doch Bremer beauftragte sie erst zwei Monate bevor das Mandat der Übergangsverwaltung endete.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen