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Kampf gegen Dezibel

Dem Berufsverband der Discjockeys ist es in deutschen Diskotheken zu laut. Nach Baden-Württemberger Vorbild soll darum der „DJ-Führerschein“ auch in Niedersachsen verliehen werden

von Daniel Wiese

Es begann an einem Novembertag im „Perkins Park“, einem der schicksten Clubs der schwäbischen Landeshauptstadt Stuttgart. 250 DJs aus allen Enden Deutschlands waren angereist, „es kam auch ein Bus aus Hamburg“, sagt Dirk Wöhler, der Präsident des „Berufsverbands Discjockeys“, der zu dem Treffen eingeladen hatte.

Was tun 250 DJs in einem Club? Platten tauschen? Schlange am DJ-Pult stehen? Nichts von alledem. Die DJs nahmen ein Zertifikat entgegen, auf dem stand: „Zertifikat. DJ-Führerschein“ – in großen Buchstaben. Es folgten der Name des DJs und ein etwas kleiner gedruckter Text, der besagte, der DJ habe an einer „gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung des Sozialministeriums Baden-Württemberg und des Bundesverbandes deutscher Discotheken und Tanzbetriebe e.V.“ teilgenommen.

Wer sich jetzt wundert, was eine Sozialministerin mit DJs zu tun hat, muss bloß Dirk Wöhler fragen. „Sogar die Türsteher müssen eine Schulung machen, nur der DJ legt einfach los“, wettert der Präsident des DJ-Verbandes. Die Folge: „Der DJ kann sagen, okay, ich kann heute die Leute schädigen.“

Denn das ist der springende Punkt: Deutschlands Diskotheken sind zu laut. „95 Dezibel“, sagt Dirk Wöhler, das sei die zulässige Obergrenze in Österreich und in der Schweiz. In deutschen Techno-Discos dagegen seien Spitzenwerte von 120 Dezibel gemessen worden. Wenn man bedenkt, dass zehn Dezibel als mehr als eine Verdoppelung der Lautstärke empfunden werden, lassen sich die Dimensionen erahnen. Auf der Homepage des DJ-Verbandes stehen düstere Diagnosen. „Der Diskothekenbesuch ist das beliebteste Freizeitvergnügen der Jugendlichen. Jährlich strömen etwa 100 Millionen Gäste in die über 2.500 Clubs und Discotheken“, liest man da, etwas weiter ist von einer „zunehmenden Anzahl freizeitbedingter Gehörschäden“ die Rede.

Mit dem DJ-Führerschein könnte das alles besser werden, allerdings ist er noch nicht so populär. Um das zu ändern, holte der Berufsverband Discjockeys gestern zum entscheidenden Schlag aus und lud zu einer Pressekonferenz nach Braunschweig. Mit am Tisch saßen Vertreter einer Krankenkasse und sagten, dass viele Jugendliche damit rechnen müssten, mit 50 ein Hörgerät zu tragen.

„Ein DJ kann die Lautstärke mit seinen Ohren allein schlecht einschätzen“, erklärte DJ-Verbandspräsident Dirk Wöhler und schlug die Anschaffung von Dezibel-Messgeräten vor. Wöhler kennt sich in der Branche aus, seine Braunschweiger Firma „Music & Show Entertainment“ bietet unter anderem „mobile Diskotheken“ an. 1.400 Mitglieder hat der Berufsverband Discjockeys, 15 davon beteiligen sich in Niedersachsen am DJ-Führerschein. Bisher kann der Führerschein allerdings in Niedersachsen nicht ausgestellt werden, denn dazu müsste das Sozialministerium unterschreiben. „Wir haben schon angefragt, aber ein Termin steht noch nicht fest“, sagt DJ-Verbandspräsident Wöhler. Zum Glück ist der Führerschein bundesweit gültig. Und machen kann man ihn ja in Baden-Württemberg.

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