: Ronny, das Fleckenmittel
Auch als Weltmeister ist der Kombinierer Ronny Ackermann nicht bereit, sich verbiegen zu lassen. Heute will er mit der deutschen Mannschaft eine weitere WM-Medaille gewinnen
AUS OBERSTDORFKATHRIN ZEILMANN
Ronny Ackermann hat zwei Nächte nicht schlafen können. Zu viele Dinge sind ihm durch den Kopf gegangen, zu ereignisreich und anstrengend für Körper und Geist war jener Freitag in der letzten Woche, als er Weltmeister geworden war im Einzelwettbewerb der Nordischen Kombination. Da konnte er nicht einfach so die Augen schließen, abschalten und einschlafen. Doch nach zwei Tagen war es dann endlich Zeit, zur Ruhe zu kommen und vorauszuschauen auf den Teamwettkampf am heutigen Mittwoch. „Ich habe das Gefühl, dass Ronny auch für die anderen unbedingt eine Medaille holen will“, sagt Bundestrainer Hermann Weinbuch.
Ackermann, 27, hat bemerkt: „Die Spannung baut sich langsam auf. Und am Mittwoch wird sie sich wieder ins Unermessliche steigern.“ Wenn auch noch so viel von der großen Erwartungshaltung bei einer Weltmeisterschaft vor eigenem Publikum gesprochen wird – bei Ackermann hat man die wenigsten Befürchtungen, dass ihn großes Medieninteresse und erwartungsfrohe Fans unter Druck setzen könnte. Zumal er schon jetzt weitaus mehr erreicht hat, als er erhoffen konnte.
Weil sich in diesem Winter Fehler in seine Sprünge eingeschlichen hatten, war er mit wenig Zuversicht zur WM gereist. Doch Weinbuch und Ackermann gelang dank eines Sondertrainings die rechtzeitige Punktlandung, die auch beim Mannschaftswettkampf gegen die starke Konkurrenz aus Österreich, Finnland und Norwegen helfen soll. Das Springen heute wird nämlich auf der großen Schanze ausgetragen. „Und die gefällt mir noch ein bisschen besser“, sagt Ackermann. Zu kleinen Schanzen hat der Thüringer traditionell ein eher problematisches Verhältnis, schon häufig hat er lautstark über sie geschimpft. Und auch das ist typisch für den Weltmeister: Es gehört zu Ackermanns Wesenszügen, mit seiner Meinung nicht hinterm Berg zu halten, auch in Interviews scheut er vor ruppigen Antworten nicht zurück. Das macht ihn bei manchen Menschen nicht gerade beliebt – und beantwortet wohl auch die Frage, warum er trotz ähnlicher Erfolgsbilanz weit entfernt ist von der Popularität eines Martin Schmitt oder eines Sven Hannawald. Während diese beiden stets auf größtmögliche Nettigkeit Wert legen, kann Ackermann humorvoll, schlagfertig und liebenswürdig sein, aber auch verbissen und arrogant wirken.
„Ich schwimme nicht mit dem Strom. Ich lasse mich nicht verbiegen“, hat er einmal gesagt. Wenn Schmitt und Hannawald Weichspüler sind, dann ist Ackermann das Fleckenmittel: kann optimal helfen, aber manchmal auch Stoff und Farbe zerstören.
Aber Vorsicht: Man darf Ackermann und seinen Sport nicht mit den Spezialspringern vergleichen, das mag er gar nicht. Als ihn jüngst die allseits beliebte Frage traf, warum denn die Kombination trotz solcher Erfolge nach wie vor im Schatten der Skispringer stehe, verdüsterten sich seine Gesichtszüge und er wies auf die Eigenständigkeit der Disziplin hin. Er findet nicht, dass seine Sportart ein Image-Problem habe, kritisierte aber, dass der Weltverband Fis die Kombination ins Licht der Unprofessionalität rücke. Die Materialkontrolle sei beispielsweise lax und nicht nachvollziehbar, gleiches gelte für die Windmessung. Und zu wenig Dopingkontrollen gebe es auch. Ackermann: „Wir in Deutschland werden von nationaler Seite mehr kontrolliert als von internationaler. Ich würde mir wünschen, dass es bei jedem Weltcup Dopingkontrollen gibt. Ist der Sport sauber, ist das schöner für alle Beteiligten.“
Gesagt hat der 27-Jährige das übrigens bei der Siegerpressekonferenz am Freitag und damit wieder einmal alle überrascht. Da ist er gerade Weltmeister geworden, hat soeben die Goldmedaille überreicht bekommen, was 10.000 Menschen bejubelt haben – und was macht er? Er überlegt, kritisiert, denkt weiter und gibt sich nicht nur der taumelnden Freude über den Sieg hin.
Neulich war das WM-Team samt Trainerstab bei einem Spiel des FC Bayern München. Ackermann ist einige Male angesprochen und um ein Autogramm gebeten worden, kratzbürstig war er da gar nicht – vor ein paar Jahren wäre er niemandem im Stadion aufgefallen. „Das hat mich ein wenig stolz gemacht“, sagt Weinbuch. Mit Ackermann, so erklärt der Trainer, „sind wir in der Kombination auf einem sehr guten Weg.“ Das soll heute auch für die Mannschaftskonkurrenz gelten.
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