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Busen mit Ohren

Der alljährliche Besuch bei Graf Mammo. Ein Bericht aus dem Brustbereich

Egal, was man beziehungsweise in diesem Fall frau sonst im Leben ist, einmal im Jahr wird man ab einem gewissen Alter zum Busen auf zwei Beinen. Ich nenne die betreffende Praxis hier mal Dr. Grätz, und weil es eine Gemeinschaftspraxis ist, heißt sie Dr. Grätz, Dr. Grätz und Dr. von Grätz.

Arzthelferinnen wuseln über hundert Meter lange Flure und die Effektivität dampft einem förmlich aus dem gestärkten Leinen der Weißkittel entgegen. Jedes Jahr lauere ich wieder, ob es nun endlich so weit ist, dass man den Oberkörper schon vor Betreten der Praxis frei zu legen hat, aber obwohl diese Maßnahme den Patientinnendurchfluss noch einmal erheblich beschleunigen würde, ist sie merkwürdigerweise immer noch nicht eingeführt. Oder es liegt daran, dass mein Termin immer im Winter ist, und bei über 20 Grad Celsius sind sie dann schon weiter.

Beim ersten Mal, als ich dachte, es wäre ernst, fiel ich in die Hände von Herrn Dr. von Grätz, der aussah und sich benahm, als ob er seinen Gaul im Wartezimmer angebunden hätte und eigentlich auf die Fuchsjagd wollte. Er tastete auf meinem Brüsten herum, fand den von mir gefundenen Knoten nicht, stattdessen aber einen anderen und fragte onkelhaft: „Wer ist denn ihr Frauendoktor?“ Da wusste ich, dass er denkt, ein Busen mit zwei Ohren dran ist zu doof, das Wort „Gynäkologe“ zu verstehen, und wechselte zu Frau Dr. Grätz. Denn nun schnappte die Falle zu, ich hatte jährlich zu erscheinen, weshalb man jeder Frau von einer überstürzten Mammografie eigentlich nur abraten kann.

Frau Dr. Grätz ist erträglicher, aber ach, vor sie ist ja die Assistentin geschaltet. Sie heißt auch irgendwie, doch ich ziehe es hier vor, sie nach der Lieblings-Yugioh-Karte meines Sohns, „Der Drache mit dem eiskalten Blick“, zu nennen. Sie stößt einen in die Kabine, kommandiert „Obenrum ausziehen!“ und lässt einen mit den Sorgen und einer Frau im Spiegel allein. Jetzt wartet man und hat die Wahl, entweder halb nackt auf den Flur zu springen oder weiter zu warten, wobei jede weitere Minute im Patientinnenschrank die subjektive Gewissheit der Brustkrebserkrankung um 1.500 Prozent steigert. Dann schubst sie einen vor die Riesenröntgenmaschine, die vielleicht Masochistinnen erfreut, aber wahrscheinlich nicht einmal die.

„Nun seien Sie doch mal locker, sonst ist das für mich sehr anstrengend!“, ruft sie streng, und die Antwort „Sie werden immerhin dafür bezahlt!“ verschluckt man, weil man plötzlich darüber nachdenkt, ob es wirklich Frauen gibt, die ganz locker bleiben, während eine Maschine ihre Brüste erst in die eine und dann in die andere Richtung auf einen Minimaldurchmesser platt quetscht, und ob man vielleicht doch die Zimperliese ist, für die einen die anderen sowieso immer halten.

Der Drache wird ungeduldig und behandelt die Patientin wie ein sehr lästiges Hindernis, das ihn von der Arbeit abhält – aber was ist dann bloß die Arbeit? Während man noch Sterne sieht, darf man seine Klamotten unter den Arm nehmen und zur nächsten Station weiter. „Ich habe kalte Hände“, verspricht Frau Dr. Grätz, ehe sie lostastet, und erreicht ein prophylaktisches Zusammenzucken des Busens auf zwei Beinen. „Ach nein“, bedauert sie dann heuchlerisch ihr Versehen, „heute hatte ich ja draußen ausnahmsweise Handschuhe an.“ Frau Dr. Grätz kann nichts finden, deswegen muss ich in einem Jahr wieder hin. Und dann werde ich ihr endlich, endlich, den Witz erzählen, den ich von Fanny Müller habe. Kommt ’ne Frau zum Arzt und sagt: „Ich hab ’nen Knoten in der Brust.“ Sagt der Arzt: „Wer macht denn so was?“

SUSANNE FISCHER

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