ausgehen und rumstehen: Zudringliche Jungs und mailende Menschenfreunde
Ach reden, reden! Wenn das Reden nicht wäre! Das Reden ist doch oft das Schönste am Ausgehen! Aber es ist auch nicht immer leicht. Am Dienstag in der 8 mm-Bar zum Beispiel wollte ich mit einer just vom Kurzurlaub zurückgekehrten Freundin neueste Beobachtungen austauschen, sie kurz updaten, wie man sagt. Allein: Unsere beiden männlichen Begleiter hörten nicht auf, in dem für ihr Geschlecht typischen Dominanzverhalten heimlich zu lauschen, sich dann einzumischen und dumme Bemerkungen zu machen.
Was tun? Eine Strategie, die ich aus meiner Zeit in der Elterninitiativkindertagesstätte (Ei-Kita) kenne, lautet: Den Jungs, die im Zuge der Negativzuwendung immer nur die Mädchen beim Spielen stören wollen, eigene Anreize geben. Vorschläge machen.
So riefen wir den zudringlichen, unterbeschäftigten Jungs immer wieder – zugegebenermaßen recht stereotype – Männerthemen-Vorschläge zu: „Busen, Busen“ zum Beispiel, aber auch „Vorhautverengung“. Und es funktionierte! Sie nahmen die Themen dankbar auf, waren für kurze Zeit beschäftigt, und wir konnten unser wichtiges Gespräch zu Ende führen.
Es wurde noch ein sehr schöner Abend, das Musikprogramm des Tresen-DJs einte alle: Der alte Kraftwerk-Hit „Sie ist ein Model und sie sieht gut aus“ inspirierte zum wilden Luftkeyboardspiel, sogar mit Überkreuz-Armhaltung beim Solo wurde geprahlt. Und als das Geld ausging, da konnten mit dem bewährten Trick 17 – hab das Portemonnaie vergessen – Dumme gefunden und neue Getränke bestellt werden. Draußen lag schon wieder frischer Schnee, beseelt trennte man sich und schlitterte davon.
Am Freitag im „Golden Gate“ kam zuerst jeder mit seinen Papstneuigkeiten an, „Johannes Paul II. hat zehn Kekse zum Frühstück gegessen“, „Papst hat sich am Fenster gezeigt“. Die erfahrene Katholikin konnte dazu noch Facts zu päpstlichen Rücktrittsgepflogenheiten, zum Regelwerk der Papstwahl und Anekdoten zu Pius VI. beisteuern. Man einigte sich darauf, dass nach Gender/Diversity-Aspekten eigentlich mal ein schwarzer Papst bzw. eine Päpstin dran wäre. Dann geriet das Gespräch in eine Sackgasse.
Seltsamer- und erfreulicherweise waren am Freitag im Golden Gate Menschen verschiedener Ausgehgenerationen versammelt, sodass man ständig alte Bekannte, Exfreunde, Beinahe-Kollegen, Ex-und-Pop-Leichen, Berlin-Tokyo- Bekanntschaften, Flittchenbargäste und andere Schatten der Vergangenheit traf. Lag es an der Beliebtheit der gastierenden Musikgruppe oder war es einfach die Konsensveranstaltung an diesem Freitag? Hatten die kursierenden Rundmails und Ausgehempfehlungen diesen Konsens geschaffen? Jedenfalls führte der Konsens gleich zum aktuellen Thema „Lyrik in Ausgehmails“.
In letzter Zeit muss man sich vermehrt durch Herzensergießungen des einsamen Mailers – melancholische Betrachtungen über das Wetter, der besinnliche Blick auf die Straße – durchlesen, bis man endlich „to the point“, zur empfohlenen Veranstaltung kommt. Dabei setzt doch der wahre mailende Menschenfreund, so einigte man sich, bescheiden höchstens ein kleines Gedicht oder einen Aphorismus unter seine Ausgehmails.
The tree normal Beatles spielten längst, allerdings war der Konzertraum so voll, dass wir es vorzogen, das Basswummern aus entsprechender Entfernung zu genießen. Dabei gibt doch tatsächlich immer noch Menschen, die das hamburgtypische Auftreten, sprich Musiker in Anzügen, visuell zu schätzen wissen! Als wir dann aber nach einer Weile auch direkt teilhaben wollten und uns in den Konzertraum drängten, baute sich direkt vor uns ein Standbild auf. Eine Frau fand es total witzig, so rockarenenmäßig mit je einer Hinterbacke auf den Schultern zweier männlicher Begleiter zu sitzen. Jegliche Sicht war versperrt, wir zogen uns wieder zurück. So schritt die Nacht mit weiteren Getränken und munteren Gesprächen immer weiter fort.
CHRISTIANE RÖSINGER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen