fußpflege unter der grasnarbe: Alles klar, Herr Karl?
Auch so können Fußball-Laufbahnen verlaufen. Es gibt sie noch die Karrieren á la Stan Libuda. Nicht die der abgebrühten Profis, die mit dem Handelsblatt in der Hand wedeln, und das Laufband mit den Börsenkursen am unteren Bildschirmrand von n-tv mitbeten können. Steffen Karl ist so ein Beispiel.
Als Steffen Karl 1998 zum FC St. Pauli kam, waren er und seine Karriere schon längst auf dem absteigenden Ast. Es war die Zeit zum Ende des vergangenen Jahrtausends, als sich Anhänger und Zuschauer am Millerntor lustvoll ob der technischen Fähigkeiten der Truppe das Maul zerrissen, nicht ahnend, dass alles mittelfristig noch viel schlimmer kommen würde. Und mittendrin der Karl, als Libero geholt, Bundesliga-erfahren, attestierte ihm ein Mitarbeiter dieser Zeitung am Ende der Fast-Abstiegssaion 1999/2000 „die Grundschnelligkeit einer lebenden und den Bewegungsradius einer toten Schildkröte“. Das war nicht nett, aber leider zutreffend. Karl stand meistens auf dem Platz, und man ahnte, dass er jetzt möglicherweise nicht an das Spiel und den eröffnenden Pass, sondern an das Bierchen danach dachte. Dem Mann wurde ein Alkoholproblem nachgesagt, und wer wollte, konnte dies auf St. Pauli auch bestätigend überprüfen.
Eine traurige Gestalt, die dort im braun-weißen Trikot über den Platz schlich. Ein paar Jahre zuvor hatte er noch in einem europäischen Cup-Endspiel gestanden, ganz große Oper gegen Juventus Turin. Das war 1993 in Diensten von Borussia Dortmund. Es scheint, als habe Karl bei der Wahl seiner Arbeitgeber auch nicht immer das glücklichste Händchen gehabt.
Mit Stephane Chapuisat, Fleming Poulsen und dem kleinen Rummenigge, Ottmar Hitzfeld auf der Trainerbank, auf der anderen Seite standen die beiden Baggios und ein Andreas Möller in Bestform, Karl stand im Scheinwerferlicht ganz Europas, Eisen-Karl nannte man ihn, weil der Versuch, an ihm vorbei zu kommen, bestenfalls mit körperlichen Schmerzen verbunden war, und er war stolz auf diesen Titel, und nun also St. Pauli in der 2. Liga. Da gab es mit Dieter Schlindwein auch einen mit dem Spitznamen Eisen, dessen fußballerische Qualitäten waren auch begrenzt, aber er war Publikumsheld gewesen, und das hat Karl nie geschafft. Stattdessen wurde er von der Tribüne ausgelacht, das muss furchtbar für einen gewesen sein, der mal in einem Europacup-Finale stand.
Aber es geht ja, man sollte es aus der verengten Eigensicht eines St. Pauli-Fans kaum glauben, auch immer noch eine Stufe weiter nach unten. Die Stufe hieß Sportfreunde Kladow in der Bezirksliga Berlins, wo Karl lustlos vor sich hin kickte, um danach ein Engagement im fußballerischen Märchenland Bulgarien anzunehmen, wohin sich bisher auch noch nicht viele deutsche Fußballprofis verirrt haben. Und wieder zurück nach Chemnitz, fast zu seinen Wurzeln, und hier kommen schließlich die Herren Hoyzer und Sapina ins Spiel – bisher letzte Station ist die U-Haft. Ein trauriges Ende einer traurigen Geschichte.
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