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Die Frau aus Stahl

SCHURKEN, DIE DIE WELT BEHERRSCHEN WOLLEN Erika „Alptraum“ Steinbach

Steinbachs Gegner lauern mit gezückten Ohren darauf, dass sie über ein falsches Wort stolpert

Eine scharfe Musik schmettert durch den Raum, dann taucht wie aus breitem Nebel ein altes Radio empor und baut sich breitbeinig auf. „Achtung, Achtung, eine aktuelle Sondermeldung!“, dröhnt es jählings aus seiner markigen Kehle. „Eine europäische Expertenkommission hat festgestellt, dass der deutsche Überfall auf Polen am Morgen des 1. September 1939 unrechtmäßig war. Der Befehl zum Überfall wird deshalb von der Bundesregierung unter Kanzlerin Erika Steinbach mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückgenommen. Deutsche Truppen befinden sich bereits im Anmarsch, um die widerrechtlich annektierten Ostgebiete in deutschen Besitz zurückzuführen!“ Schon durchqueren stampfende Militärstiefel das Bild, das sich in eine Karte von Europa verwandelt, aus der das Antlitz einer blonden Bestie hervorwabert und …

Wamm! Erika Steinbach schießt steil aus ihrem Bett hoch und schüttelt heftig den Körperteil, der nach Lage der Dinge auch bei ihr der Kopf sein könnte. Nein, sie darf so was nicht mal in den finstersten Winkeln ihres Gehirns träumen! Alles flöge auf, wenn sie in einer, in einer einzigen dummen Minute öffentlich in solchen Visionen schwölge, äh … schwölgte … schwelgtete?! Vor Schreck ist ihr die Sprache verrutscht. Wehe! Ihre Gegner lauern doch mit gezückten Ohren darauf, dass sie über ein falsches Wort stolpert!

Und ist es nicht ein Wunder, dass sie sich nicht längst in irgendeinem Fettnapf verfangen hat? Da votierte sie 1990 im Bundestag mit ihrem giftigen Stimmzettel gegen die Oder-Neiße, erhob 1997 ihre wütende Zunge gegen die deutsch-tschechische Aussöhnungserklärung, fuhr ihr 1999 sogar die verräterische Äußerung aus dem Ärmel, es bedürfe „keiner Kampfflugzeuge“ gegen Polen und Tschechien, der Abwurf eines deutschen Vetos genüge, um ihre Aufnahme in den Schoß von Europa mit Stumpf und Stiel zu verhindern. Auch dass sie im Jahr 2002 mit dem alpengestützten Bundeskanzler Wolfgang „Sprung“ Schüssel die Ausmerzung der Benesch-Dekrete erhisch … erhosch … erheischtete, damit die blühenden Menschenrechte der sudetendeutschen Grundstücke, Häuser und Fabriken endlich … überhaupt müssen die „offenen materiellen Fragen“ … obwohl bei ihr ganz etwas anderes offen ist … huch! Schon wieder eingenickt!

Erika Steinbach öffnet die Augen, was sie gewöhnlich nie tut. Ja, sie ist zuhause im bis auf den Gatten blütenweißen Bett, nicht in dumpfer Stub’ mit anderen vom Alter zerfurchten Frauen, die ihr niedriges Garn spinnen und im finsteren Dialekt ein Lied knödeln, „das vaun dr schee Haumat / dau hint im brauns Geloch, / wo’s Vulk hot sa Bluot und Raumat, / sau süöß duod singa, dräifuch Hoch!“

Als Bundesvorsitzende der deutschen Vertriebenenverbände hat sie diesen Alptraum oft in der nächtlichen Birne. Stets war sie danach tagelang krank, konnte also ohne Einschränkung weitermachen. Sie muss funktionieren! Und nie daran denken, dass ihr keine solche verschrumpelte Mundart in die Wiege gelegt wurde. Wie stand sie im Jahr 2000 auf der Kante, als es ans Tageslicht kam, dass sie 1943 bloß als Tochter eines Nazisoldaten und einer aus Bremen dienstverpflichteten Mutter im besetzten und von Deutschen gefressenen Polen geboren worden war! In Wahrheit wurzelte der Vater im hessischen Hanau, und dort wuchs sie auch auf.

Obwohl sie also keine Heimatvertriebene ist, darf sie sich von Gesetzes wegen mit ihrer Lebenslüge schmücken. „Hitler sei Dank!“, zischt es ihr durchs Oberstübchen. Sie sieht ihren Vater in der männlichen, nie nach Gas schmeckenden Uniform … und schon streunen ihr braune Neger durchs Hirn, die in Deutschland Wurzeln schlagen, von weit her angeschwemmte Menschen, die auf deutschem Blut und Boden – hoppsa! Was haben diese Flüchtlinge und Vertriebenen denn in Erika Steinbach zu suchen!

Sie war wieder weggedämmert. Die letzten Traumbilder haben ihr einen dringenden Druck eingebrockt, und sie beschließt, aufzustehen und die ganze gepfefferte Scheiße rauszulassen. Merkwürdig, dass sie jetzt an das Zentrum gegen Vertreibungen denken muss! An ihren Stuhl im Stiftungsrat! Unbesetzt steht er in der Welt, leer wie die ererbte Heimat! Eines goldenen Tages aber wird sie, die blitzsaubere Erika, ihn unter ihre fünf Buchstaben schieben. Noch muss sie sich wie alle Vertriebenen in Geduld und Spucke üben, aber wenn endlich der ganze Zeitgeist sich dreht und die mit allen Tricks gewaschene Vertriebenen-Charta von 1950 sich erfüllt …

Träumt sie oder wacht sie? Millionen Polen marschieren mit offenen Händen auf sie zu. Auch sie haben einen jahrzehntelangen Atem und wollen nun mit Zins und Zinseszins bezahlt wissen, was Erika Steinbachs Vater und all die anderen … schon verschwindet ihr schöner Reichtum in einem riesigen grinsenden Maul, das … Erika Steinbach schreckt hoch. Ein spitzer Schrei fährt ihr oben raus. Angstschweiß rollt ihr über alle Glieder. Mit anderen Worten: Gute Nacht! PETER KÖHLER

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