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Ausflug auf vermintes Gelände

Heute wählt der zuletzt heftig zerstrittene Bund Deutscher Radfahrer (BDR) seinen neuen Präsidenten. Einziger Kandidat für das diffizile Amt ist der ehemalige Verteidigungsminister und furchtlose Tourmalet-Bezwinger Rudolf Scharping

AUS SAARBRÜCKEN FRANK KETTERER

Warum ausgerechnet er der richtige Mann für das hohe Amt sein könnte, tat Rudolf Scharping Anfang Februar und am Rande der Rad-Cross-Weltmeisterschaften im saarländischen St. Wendel kund. „Ich habe schon so manchen mächtigen Berg gemeistert, den Tourmalet zum Beispiel“, ließ der ehemalige Verteidigungsminister und Beinahe-Bundeskanzler da wissen – und die schlechteste Voraussetzung, neuer Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) zu werden, scheint solch nachgewiesene Leidensfähigkeit in der Tat nicht. Schließlich gilt der Tourmalet selbst unter Tour-de-France-Haudegen als Schreckensberg – und der BDR als ziemlich zerstrittener Haufen, in dem so manches im Argen liegt.

Am heutigen Samstag wird Scharpings Präsidentwerdung auf der BDR-Bundeshauptversammlung in Saarbrücken unter Dach und Fach gebracht. Der 57-Jährige wird sich über ein Ergebnis freuen können, das an Wahlen früher im Osten erinnert, er ist schließlich der einzige Kandidat. Dafür, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, hat Dieter Kühnle gesorgt, einer der Vizepräsidenten des BDR – und Vorsitzender der im Oktober eingesetzten Präsidenten-Findungskommission. Kühnle, so stellte es das verbandskritische Internetportal radsport-news.com fest, habe es sich zur Aufgabe gemacht, „die anderen Kandidaten aus dem Weg zu räumen“. Letztendlich, auch das wird gemunkelt, sei das sogar die Grundvoraussetzung für Scharpings Bereitschaft gewesen; das Risiko, sich erneut in aller Öffentlichkeit lächerlich zu machen und selbst bei einer Verbandswahl durchzufallen, wollte der skandal- und pannenerfahrene Politprofi jedenfalls nicht eingehen.

Kühnle hat ganze Arbeit geleistet. Von Anfang an pries er den Exminister als „einmalige Chance für den Radsport in Deutschland“, entsprechend flott hatte er die anderen Interessenten, sechs an der Zahl, in die Flucht geschlagen, nicht ohne sich hernach selbst dafür zu loben. „Alle haben inzwischen Einsicht gezeigt und freiwillig zugunsten von Rudolf Scharping auf eine Kandidatur verzichtet“, stellte Kühnle jedenfalls voller Stolz fest. Der Letzte von ihnen war Max Benz, ein in Radsportkreisen durchaus geschätzter Hotelier aus dem Schwarzwald. Der 35-Jährige zog seine Kandidatur just vor einem Monat und einigermaßen irritiert zurück. Schon zuvor hatte ihn das Gefühl beschlichen, dass da „offensichtlich eine Vorabstimmung durchgeführt und die Basis nicht gefragt“ werde.

Dabei hätte der Kandidat Scharping solcherlei unschöne Mauscheleien gar nicht nötig gehabt. Bei einer Vorabvorstellung vor dem BDR-Präsidium sowie den Präsidenten der 16 Landesverbänden Mitte Februar soll sich der Exminister jedenfalls in prächtigster Tourmalet-Form präsentiert haben, was heißen soll: bestens informiert und präpariert. „Alles, was er gesagt hat, hatte Hand und Fuß“, fasst etwa Klaus Peter Haupka, Präsident des niedersächsischen Landesverbands, die Scharping-Performance zusammen. Für Stefan Fels, badischer Landesfürst und lange Zeit eifrigster Unterstützer des Kandidaten Benz, wiederum war die Vorstellung des Exministers „sachlich und fachlich korrekt, zudem professionell und hervorragend präsentiert“.

Hinzu dürfte kommen, dass Rudolf Scharping durchaus über ein paar wichtigere Eigenschaften für das Präsidentenamt verfügt, als Berge per Rad erklimmen zu können, man denke da nur an die ausgezeichneten Kontakte zu Politik und Wirtschaft, die jeder Bundesminister pflegt, auch wenn er nur noch ein ehemaliger ist. „Ich habe die Verbindungen, ohne die der Sport nicht auskommen kann, das ist klar“, sagt Scharping selbst – und es stinkt noch nicht einmal nach Eigenlob.

So hat der vom BDR-Vize betriebene Scharping-Lobbyismus dem neuen Präsidenten schon vor dessen Wahl weitaus mehr geschadet als genutzt. In manchen Radsportkreisen steht der SPD-Politiker, der nach wie vor Mitglied des Deutschen Bundestags ist sowie eine Gastprofessur an der Fletcher School in Medford bei Boston inne hat, dank Kühnles Beihilfe nun nämlich für das Beibehalten der als verkrustet geltenden Strukturen im zuletzt skandalgeplagten Verband – und somit als Mann jener, die diese zu verantworten haben. „Da denken jetzt bestimmt einige: Wir haben ihn geholt, also ist er abhängig von uns“, sagt Sylvia Schenk, die sich auskennt im BDR, schließlich stand sie dem Verband drei Jahre als Präsidentin vor, ehe sie letzten Oktober ihren Hut nahm, auch weil sie die Machenschaften einiger Verbandsmächtigen nicht mehr weiter mittragen wollte. Die Sorge, dass Scharping sich tatsächlich von der falschen Seite vereinnahmen lassen könnte, teilt sie indes nicht. Nach einem längeren Gespräch mit ihrem potenziellen Nachfolger ist sich die Juristin aus Frankfurt jedenfalls sicher, „dass Scharping nicht die schlechteste Lösung“ ist. Schenk: „Ich denke, dass er das Spiel nicht mitspielt, sondern sich recht schnell emanzipiert.“

Wie eng die Seilschaften an der Spitze des BDR geknüpft sind, zeigt sich schon in der Person von Burckhard Bremer. Der Sportdirektor hatte bei allen BDR-Affären der letzten Zeit die Hauptrolle inne. Egal, ob bei der Bahnrad-WM in Stuttgart der deutsche Vierer abgesagt wurde oder bei Olympia in Athen Judith Arndt den Stinkefinger in die Luft reckte, stets war der Sportfunktionär aus der Hauptstadt maßgeblich in die Skandale verstrickt. Bei seiner vorläufig letzten Verfehlung versuchte der Sportdirektor gar einen potenziellen Dopingverdacht gegen den deutschen Olympiastarter Christian Lademann zu vertuschen. Als Sylvia Schenk, damals noch in Amt und Würden, Wind von der Sache bekam und den Fall letzten August öffentlich machte, schlug sich der Rest des Präsidiums prompt auf die Seite Bremers. Schenk blieb nur noch eines: der Rücktritt. Bremers Vertrag hingegen wurde um vier Jahre verlängert.

Dass mittlerweile ein Großteil der Landesverbands-Präsidenten den skandalanfälligen Sportdirektor kalt stellen will, so sie ihn schon aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht loswerden können, könnte auf der heutigen Bundeshauptversammlung zum hitzig diskutierten Thema werden. Und es könnte Rudolf Scharping gleich an seinem ersten Amtstag eine Chance zur Emanzipation bieten. Das Gelände, das der ehemalige Verteidigungsminister mit seiner Wahl betritt, ist jedenfalls heftig vermint. Und mindestens so schwer zu meistern wie der Tourmalet.

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