: Tiflis–Trabzon, einfache Fahrt
Mit schwarz gewandeten Frauen in einem Linienbus von Georgien zu einem türkischen Flughafen reisen. Unterwegs beobachtet: das alltägliche und gestenreiche Spiel zwischen gestrengen Zöllnern und unschuldigen Händlerinnen
VON ANDREA STRUNK
25 US-Dollar für die Strecke von der georgischen Hauptstadt Tiflis bis ins türkische Trabzon scheint ein fairer Handel. Der Busfahrer nimmt seine Mafia-Sonnenbrille ab und versichert, am Abend sitze man am Flughafen. Der Bus ist nicht mal zehn Jahre alt. Kaum klebrige Flecken auf den Polstern, und statt der rauchgebräunten Gardinen, wie man sie bei älteren Modellen findet, hat er große, mit Nichtraucherschildern beklebte Panoramafenster. Der Otogar, wie der Busbahnhof im Kaukasus heißt, ist ein zugiger Ort, dem man alles vorenthalten hat, was einladend wirken könnte. Erst als die Sonne hochsteigt und in die Halle scheint, wird es so warm, dass man aufhören kann, rastlos zu wandern, und wagt, auf dem Koffer sitzend zu warten. Stühle gibt es nicht. Der Bahnhof wimmelt von Reisenden, die von Fahrkartenverkäufern konkurrierender Buslinien mit sanfter Gewalt zum Ticketschalter geschleppt werden. Frauen, in Schultertücher und abgetragene Mäntel gehüllt, verkaufen Süßigkeiten, Getränke, Brot. Heißer Tee findet reißenden Absatz.
Rauchende junge Männer verabschieden sich von ihren Freundinnen, die wiederum von ihren Freundinnen getröstet werden. In Abständen werden die Spuren, die die Tränen hinterlassen, mit der Puderquaste geheilt. Wie auf ein geheimes Kommando hin geht dann alles schnell. In Windeseile ist das Gepäck verladen, sind die Klappen zugeschlagen, Reisende und Fahrer klettern eiligst in den Bus, schon läuft der Motor, ruckartige Anfahrt, und aus den Ablagen purzeln die ersten Gepäckstücke. Der Kassettenrekorder wird aufgedreht, und zu den schmalzigen Klängen eines Lieds über die Schönheit Abchasiens rollt der Bus mit nur einer Stunde Verspätung vom Platz. „Aaabchaaasiaaa“ wird in den folgenden Stunden noch oft vom Band laufen.
Die schwarz Gewandeten packen ihr Picknick aus, verteilen großzügig Oliven, Käse, Brot und Früchte. In der Intimität des Busses ziehen sich die Frauen die Tücher vom Kopf, rauchen. Die Nichtraucherschilder an den Fenstern sind nur Zierde. Bald ist die Stimmung fröhlich, die Luft dick vom Zigarettenqualm, und aus dem Müll entweicht der süßliche Geruch von sich zersetzendem Obst. Auf die M1 nach Norden. Mit Altmetall beladene Lastwagen, deren Auspuff dicklich-schwarzer Qualm entweicht, wollen auch zur türkischen Grenze, fallen zurück.
Gori liegt links, ist auch an anderen als an Wintertagen mausgrau, armutsgrau. Es ist die Geburtsstadt von einem, der sich später Stalin nannte und sich seiner Herkunft aus der georgischen Kleinstadt schämte, so sehr, dass er seine Landsleute noch ein wenig mehr tyrannisierte. Die Nachfahren dieser Landsleute sind nicht nachtragend, haben Stalin gemeißelt auf dem Marktplatz stehen, ihm ein Museum errichtet, Straßen und Plätze nach ihm benannt.
Bis Kutaissi, Sitz des Königs, dem die Argonauten unter dem Kommando von Jason das Goldene Vlies und die Tochter Medea raubten, könnte man es in vier Stunden schaffen. Wenn jene rotweißen Schranken nicht wären, die vage den Wechsel eines Bezirks andeuten könnten, in Wirklichkeit aber der verlängerte Arm unterbezahlter Polizisten sind. Prozedur: Bus hält, Gepäckklappen werden geöffnet, die schwarz gekleideten Frauen stürzen hinaus, Polizist deutet mit schwerer Geste aufs Gepäck, Frauen fallen zeternd über ihn her, Busfahrer überreicht dem Uniformierten grinsend ein bis fünf Lari, Klappen gehen wieder zu, Frauen klettern triumphierend in den Bus, stecken neue Zigaretten an, weiter geht’s.
Zehn Kilometer hinter Kutaissi, nach sechs Stunden Fahrt, endlich eine Pause. Die Tankstelle wird von zwei Kerlen mit Maschinenpistolen bewacht, dabei sieht die Gegend äußerst friedlich aus. Ein paar verlassene, verfallende Häuser, eine schnurgerade Straße in Richtung Meer, auf den Dörfern nur noch Pferdefuhrwerke – und noch immer Laster mit Altmetall für Istanbul. Stadt fügt sich an Dorf, Dorf an Stadt, die Nachmittagssonne erhitzt den Bus, die schwarzen Frauen knicken in den Hälsen ein und schaukeln schläfrig im Takt von „Abchasia“ nach vorn und nach hinten. Nur der Fahrer hält sich mit Fahrtwind und Zigaretten weiter wach. Dann kommt der Fluss Rioni aus dem üppigen Land gekrochen, wird weiter und weiter, bis salziges Brackwasser ihm das Glitzern nimmt.
Hinter Sakhalvasho führt die Straße in Serpentinen durch Wald, der wie Regenwald anmutet, vorbei an der Ruine der Burg Königin Tamaras, die Georgiens Kunst und Architektur im Mittelalter zur Blüte brachte, vorbei an hölzernen, stolzen Häusern, denen der Niedergang Georgiens nichts anhaben konnte. Dies ist Adscharien, halbautonome Republik, mit harter Hand von Aslan Abaschidse regiert, der sich nicht den Weisungen aus Tiflis fügt. Schon haben die Straßen weniger Schlaglöcher, sind die Dörfer, die Städte reicher. Als im Tal die Hafenstadt Batumi in Sicht kommt, ertrinkt die Sonne am Horizont.
An der Grenze ist es dunkel. Zehn Stunden sind seit der Abfahrt aus Tiflis vergangen. Der Bus wird an der Schlange wartender Autos vorbei in einen Unterstand gelotst. Vorher müssen die Reisenden aussteigen. Die Frauen erklären sich den Zöllnern; in hohen, klagenden, dann weich abfallenden Tönen geben sie sich als Vertriebene aus Abchasien zu erkennen. Aus Gali sind sie, einer der Zöllner ist es auch – nun will das Klagen kein Ende nehmen, und die Frauen zerwühlen ihr Haar und reißen an ihrer Trauerkleidung, die sie nach Sitte der Bergvölker bis an ihr Lebensende tragen werden.
Der Übertritt an der georgischen Grenze dauert zwei Stunden, in denen die Zöllner vorgeblich die Waren zählen und mit den Nummern auf den Deklarationsscheinen vergleichen. Es ist ein Spiel. Die Zöllner spielen gestrenge Zöllner, die Frauen unschuldige Händlerinnen, der Busfahrer, offensichtlich der Chef der Truppe, macht den Vermittler. Die Zöllner verlangen 100 Dollar Zoll, die Frauen schreien und kreischen, der Busfahrer zieht den Zöllner beiseite, steckt ihm Zigaretten zu, redet auf ihn ein. Am Ende zahlt jede die 20 Dollar, die sie schon seit Stunden in der Hand hält. Beifall. Vorhang. Man lacht noch ein wenig gemeinsam, noch eine Zigarette, Koffer verstaut, Klappen zu, ab in den Bus, fünf Meter fahren, türkische Grenze.
Aussteigen. Um Flucht oder andere illegale Bewegungen zu verhindern, wird die Gruppe vorsichtshalber von Soldaten bewacht. Wieder werden Schuhe und Anoraks verteilt, Dollarnoten in Pässen überreicht. Zwei Stunden später ist auch diese Grenze geschafft, im Nachtwind und Flutlicht flattert die türkische Fahne.
Tatsächlich, sie singt. Glatter Asphalt überzieht die türkische Straße. Zur Rechten das Schwarze Meer, in der Ferne Lichter von Öltankern, Fischerbooten. Die Frauen haben ihre Mäntel zu Kissen zerknüllt, ihre Haare befreit und liegen wie Schneewittchen über die Sitze gegossen. Der türkische Popgesang verfließt im Kopf zum Titel eines Gedichts: Sine sole nihil sum, nichts kann ohne Sonne sein. Dann ziehen Wolken vor den Mond, fällt finsterste Nachtschwärze über das Land, das Meer, den Bus, die Augen – und hat erst ein Ende, als lange nach Mitternacht der hell erleuchtete Flughafen von Trabzon erreicht ist.
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