: Braucht die Kirche Reformen?
nein
Das Kernproblem der katholischen Kirche sind nicht ihre Strukturen. Vielmehr ist sie dem Dilemma aller monotheistischen Religionen ausgesetzt: Ein universeller Anspruch trifft auf eine partikulare Welt. Johannes Paul II. hatte dem eine Art Aktionseinheit der Weltreligionen entgegengesetzt. Um in diesem Bündnis nicht beliebig zu werden, muss die Kirche unterscheidbar bleiben – eindeutig katholisch.
Die Appelle, die jetzt seitens kritischer und katholischer Geister zur Reform ihrer Kirche vorgebracht werden, sind im Tonfall äußerster Dringlichkeit abgefasst. Wenn jetzt nichts geschieht, so fast unisono die Warnung, ist das Ende des Katholizismus als wirkungsmächtiger geistiger Kraft zumindest in Europa absehbar. Die Reformagenda konzentriert sich in erster Linie auf den hierarchischen Zentralismus des Vatikans, auf seine exklusive Männerherrschaft, schließlich auf die unnachgiebige Härte der Familien- und Sexualmoral, besonders das Verbot empfängnisverhütender Mittel und die Charakterisierung der Abtreibung als Mord.
So berechtigt all diese Forderungen von einer demokratischen Warte her erscheinen, sie verfehlen doch das eigentliche Problem, mit dem die christlichen (und islamischen) monotheistischen Religionen heute konfrontiert sind. Diese Religionen leben von ihrem universellen Wahrheitsanspruch, sind aber allesamt partikular, was ihre historisch-kulturelle Verwurzelung wie ihren Verbreitungsgrad anlangt. Auf dem je eigenen Wahrheitsanspruch zu beharren, birgt die Gefahr der doktrinären Isolation. Von einer allen Religionen gemeinsamen, erlösenden religiösen Grunderfahrung auszugehen und die bestehenden dogmatischen Differenzen aus den geschichtlichen Prägungen zu erklären, kann leicht zur Beliebigkeit führen. Das Entscheidende ist dann das subjektive Erlebnis des „Heiligen“. Aus dem Dilemma zwischen absolutem Wahrheitsanspruch und faktischer Partikularität scheint es kein Entrinnen zu geben.
Hier setzte der Versuch des verstorbenen Papstes ein, eine Art Aktionseinheit der Weltreligionen auf der Basis eines gemeinsamen Wertehorizonts zu schmieden. Die Basis dieses Unternehmens bildet die päpstliche Kritik an einem entseelten Individualismus, der den materiellen Gütern nachstrebt und jene Spiritualität zerstört, von der her sich nur die Würde der Person wie die zwischenmenschliche Solidarität denken lässt. Anknüpfungspunkte dieser Zivilisationskritik zum Islam, zu den Christlich-Orthodoxen und zum nichtliberalen Judentum sind hier ebenso offensichtlich wie zur Friedensbewegung und zu den Globalisierungskritikern.
Eine erfolgreiche Bündnispolitik setzt allerdings die Schließung der eigenen Reihen voraus. Gerade weil die päpstliche Verkündigung wie zuletzt bei der Kritik des Irakkrieges auf viele Verbündete zählen kann, muss die Kirche sich gegenüber ihren Bündnispartnern abgrenzen. Ihr wichtigstes Mittel hierfür ist der organisatorische und dogmatische Traditionsbestand. Dabei ist unerheblich, dass die meisten dieser Traditionen erst der jüngeren bzw. jüngsten Vergangenheit entstammen. Diese Festigung der zentralen Gewalt des Vatikans umgibt sich mit einer Formelsprache, die die Organisation in ihrer jetzigen Form jeder Kritik entzieht – ist sie doch dem mystischen Leib Jesu verbunden. Eine Auffassung der Kirche als weltlicher Organisation mit demokratischen Standards ist mit diesem Selbstverständnis unvereinbar. Deshalb erscheint auch der Einwand eines kritischen Katholiken wie Heiner Geissler, über den Kirchenapparat stehe nichts im Evangelium, irrelevant für die Wirksamkeit der spirituellen Organisationsideologie.
Der Vorteil der päpstlichen Offensivstrategie bestand stets in der inneren Kohärenz seines Angriffs zuerst auf den Kommunismus, dann auf den Liberalismus und Individualismus. Tatsächlich dürfte es den heutigen Kritikern des verstorbenen Papstes schwer fallen, einerseits seinen Angriff auf die „Kultur des Todes“ im Zeichen des Pazifismus und der Ablehnung der Todesstrafe zu unterstützen, andererseits aber auf der Straflosigkeit der Abtreibung und der Geburtenkontrolle zu beharren.
Mag sein, dass die Anstrengungen Johannes Pauls II. versanden, wenn sich kein charismatischer Kirchenführer in seiner Nachfolge findet. Gegenwärtig allerdings sollte man die Schwungkraft der von ihm initiierten ideologischen Offensive keinesfalls unterschätzen, stößt sie doch in eine Leerstelle, die der Sozialismus mit seinem Anspruch auf universelle Befreiung hinterlassen hat.
Fotohinweis: CHRISTIAN SEMLER, 66, sammelte in seinem Leben reichlich Erfahrung mit Glauben und Orthodoxie – allerdings nicht in der katholischen Kirche. Er beschreibt sich heute als „religiös unmusikalisch“. Schon als Kind wurde er in der Kirche enttäuscht: Das erhoffte Konfirmationsgeschenk – eine goldene Uhr – wurde ihm leider verweigert.
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