: Mystery vom Flughafenkiosk
ONLINESPIEL Das Spionage-Game TwinKomplex ist der neue Hype in Sachen Online-Spiele. Doch die Spieler machen nicht so recht mit
In der Welt der Videospielentwicklung gilt Deutschland als das Land der Aufbausimulationen und Fußballmanager. Für große Innovationen war man bislang nicht bekannt, dafür lieferte man solides Handwerk. Doch nun kommt eine der großen Hoffnungen im Bereich der Online-Spiele aus Berlin: TwinKomplex.
Entwickelt haben das Spionage-Spiel nicht irgendwelche Nerds, sondern der Kulturtheoretiker Martin Burckhardt und seine im Tempelhofer Flughafengebäude residierende Firma Ludic Philosophy. Die Kritiken in den Medien sind überragend: „Neuartig“, „bahnbrechend“ und „episch“ wird das Spiel genannt. Der WDR vergab sogar den Titel „bestes Social-Game aller Zeiten“. Doch was ist dran an diesem Spiel, das nach eigener Aussage gar keines sein will – sondern eine „Living Novel“?
Verschollene Agenten
TwinKomplex wird im Browser gespielt. Eine kurze Registrierung genügt, schon geht es los: Zu Beginn wird in kurzen Videos mit realen Schauspielern die Handlung angerissen. Die Story dreht sich um einen verschollenen Agenten, der von seinem Geheimbund vermisst wird – der Decentral Intelligence Agency. Nach einigen Tests wird der Spieler selbst zum DIA-Agenten und hilft bei der mysteriösen Spurensure. Spannung kommt dabei jedoch leider selten auf.
TwinKomplex will von der ersten Sekunde an maximal nebulös, verschwörerisch und undurchschaubar sein, versprüht dabei aber den Thrill einer Kriminalgeschichte aus dem Flughafenkiosk. Mit grobkörnigen und verzerrten Videoaufnahmen, schiefen Kamerawinkeln und Protagonisten, die ganz offensichtlich einen an der Klatsche haben, scheuen sich die Entwickler nicht, jedes Klischee des Mystery-Films mitzunehmen.
Das wäre ästhetisch zu verschmerzen, scheiterte TwinKomplex nicht an seinem Spielprinzip. Gespielt wird nämlich im Team, mit je drei weiteren menschlichen Ermittlern. Der Idealfall sieht vor, dass sich die Mitspieler untereinander absprechen: Ein Spieler checkt die Laborergebnisse, einer geht auf Beweissuche und ein weiterer Spieler überprüft die Datenbanken. Doch die Realität sieht anders aus.
Viele Spieler sind inaktiv oder heillos überfordert. So muss man Aufgaben allein bewältigen, die eigentlich für die Gruppe konzipiert sind. Zu Beginn soll man beispielsweise gleich fünfzehn verschiedene Adressen in Berlin überprüfen, die man nacheinander mit Google Maps abklappern muss. Doch jedes „Scannen“ der Karte kostet Energiepunkte, die sich nur langsam regenerieren. Schnell steckt man in einer Sackgasse, wenn man sich nicht zusätzliche Energie mit seiner Kreditkarte kaufen will. Das Spiel wird so bereits in den ersten Stunden zäh und demotivierend. Dabei könnte TwinKomplex spannend sein, wenn seine Erzählweise stringenter wäre.
Die freien Assoziationsmöglichkeiten – vor allem das ständige Kokettieren mit dem Verschwimmen von Realität und Fiktion – wirken auf den ersten Blick intelligent und herausfordernd, doch genauso schnell nerven sie.
Schon manch anderes Spiel mit großem Potential ist an seiner Unverständlichkeit gescheitert, wie etwa das Endzeit-Adventure Pathologic. Nachvollziehbarkeit ist eines der entscheidenden Kriterien für ein gutes Rätselspiel.
TwinKomplex ist eine logische Weiterentwicklung von interaktiven Web-Dokumentationen wie „Prison Valley“, das letztes Jahr von Arte produziert wurde. Dort stand der Aufwand in keinem Verhältnis zur Resonanz des Publikums. Ein ähnliches Schicksal könnte auch TwinKomplex blühen. ROBERT IWANETZ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen