OB IN MITTE ODER SCHÖNEBERG – PELZPARKAS SIND DER LETZTE SCHREI: Unter dem Hermelin
VON ULRICH GUTMAIR
Die Temperaturen sinken unter 5 Grad, der Wind schneidet etwas schärfer durch die Stadt, und plötzlich sind sie da. Das Phänomen beschränkt sich nicht auf Mitte, auch aus Kreuzberg, Neukölln und Schöneberg werden massenhaft Sichtungen gemeldet. Frauen sind überproportional vertreten. Touristen fahren damit U-Bahn. Mütter erledigen in ihnen ihre Tagesgeschäfte. Männer mit markanten Gesichtern überqueren damit die Straßen der Innenstadt: Pelze umrahmen allerorten die ernst und würdig dreinschauenden Gesichter der Bürgerinnen und Bürger. Der Pelzparka, genauer gesagt der Pelzparka der amerikanischen Firma Woolrich, ist zum must der Saison geworden.
Alexandra hat ihren schon seit der letzten Wintersaison. Überzeugt habe sie die Superqualität und die flauschige Wärme, sagt sie. Der Pelz fühle sich sehr angenehm an. Erstanden hat sie ihr knallrotes Exemplar vor dem Kälteeinbruch, aus zweiter Hand. Als ich Alexandra mit einem inquisitorisch vorgetragenen Katalog von 400 Fragen zu diesem Vorgang konfrontiere, merke ich schnell, dass sie mich für modisch nicht satisfaktionsfähig hält. Das beleidigt mich etwas, weil ich bereits seit 1992 Parkaträger bin.
Allerdings bevorzuge ich den sogenannten Schnorchelparka. Die sind üblicherweise komplett synthetisch. Handelt es sich dabei um Klone von Militärkleidung oder No-Name-Produkte, sind sie außerdem recht billig zu haben. Militärkleidung trägt unsereins schließlich, weil es das letzte Refugium modernistischen Gestaltungsdenkens ist.
Die Designer des amerikanischen Militärs, das den Parka 1945 einführte, nahmen sich die über Tausende von Jahren hinweg optimierten Parkas der Inuit aus Karibu- und Robbenleder zum Vorbild. Bei arktischen Windverhältnissen und effektiven Temperaturen von unter 40 Grad minus treten bereits nach einer halben Stunde Erfrierungserscheinungen auf. Die Inuit nähten deshalb Pelzstreifen von Füchsen, Hunden, Bärenmardern oder Wölfen an ihre Kapuzen, die durch ihre unterschiedlichen Haarlängen herankommenden Wind besonders gut verwirbeln. Ähnliche Eigenschaften hat das Fell des Kojoten, der die Kapuzen von Woolrich-Parkas auf der Torstraße ziert.
Die US-Army händigt seit den unseligen Zeiten von Vietnam keine Parkas mit Pelz mehr aus, ich vermute aus Gründen effizienter Ressourcenverteilung. Man kommt auch als Zivilist in der Stadt mit Kunstfaserfilz sehr gut zurecht, zumal man in Berlin eher selten mit arktischen Verhältnissen konfrontiert ist.
Hübscher Habitus
Auch wenn die soziale Kälte angeblich ständig zunimmt, ist es derzeit in Mitte noch vergleichsweise warm. Das ermöglicht den Pelzparkaträgerinnen, ihre Kapuzen nicht aufzusetzen. Was den wunderbaren Effekt hat, dass sich ihr Kapuzenfell um den Hals herum aufplustert wie weiland die Hermelinkragen der Patrizier, die man auf Renaissancegemälden bewundern kann. Dieser Umstand nährt den Verdacht, dass es beim Kauf eines 750-Euro-Parkas mit prächtigem, rotgrauem Kojotenfell nicht um Windverwirbelungskoeffizienten, sondern um Habitus und Repräsentation geht. Seit dem Reichstag zu Lindau 1497 war es dem deutschen Adel erlaubt, Hermelin zu tragen.
Ist der neue Hang zum Pelz also Ausdruck einer Refeudalisierung? Hat der Pelzfimmel etwas mit jener Nürnberger Kleiderordnung zu tun, die vorschrieb, dass das Tragen von Hermelin und Zobel nur obersten Repräsentanten der Stadt gestattet war, Patrizier mit Steinmarderfellen ihren Status repräsentieren und Kaufleute immerhin „schlechten Pelz“ tragen durften, was gemeinen Bürgern ganz verboten war?
Als in der Zeit der Restauration in der 1. Kammer des französischen Parlaments neben adligen nun auch plebejische Pairs saßen, schrieb Heinrich Heine über Letztere: „Die alte Unterwürfigkeit ergreift wieder ihre Seelen, unter dem Hermelin kommt ein Stück Livree zum Vorschein.“ Das Tragen von Pelz ist demnach immer eine Bestätigung feudaler Ordnung, ganz egal, wer ihn trägt. Wenn es etwas repräsentativer zugehen soll, ich also einen längeren Gang durch das neue Schwabing plane, greife ich daher zum Dufflecoat. Der erscheint mir als vergleichsweise republikanische Tracht.
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