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: Tokio als Mädchentraum: „Stratosphere Girl“ in der Reihe „Brave New Girls“

Die „Coming of Age-Story“ oder, in schönem Deutsch, der „Entwicklungsroman“, wird immer wieder gerne erzählt. Der Bogen spannt sich von Charles Dickens‘ David Copperfield über Thomas Manns Hans Castorp bis hin zu der aktuellen Comicverfilmung „Spider Man“. Fast immer sind es Jungen, die sich zu Männern entwickeln – von dem Erwachsenwerden junger Frauen wurde dagegen viel seltener erzählt. Das scheint sich aber jetzt, im postfeministischen Zeitalter der „Girl-Power“, langsam zu ändern, und ein Indiz dafür ist die Filmreihe „Brave New Girls“, die in dieser Woche im Kino 46 gezeigt wird. Die 19 Jahre alte Marie Rümelin, die beim Bremer Kommunalkino ein „freiwilliges kulturelles Jahr“ absolviert, sollte eigentlich nur ein paar neue deutsche Filme über Jugendliche aussuchen, und dabei fiel es dann nicht nur ihr auf, dass einige der Schönsten unter ihnen von jungen Frauen erzählen, die sich in modernen Großstädten durchsetzen müssen und dabei extreme Erfahrungen machen.

Die große Entdeckung in dieser Reihe ist eindeutig „Stratosphere Girl“ von M.X. Oberg, denn dieser Film wird auch stilistisch und atmosphärisch durchgehend aus der Perspektive seiner jungen Heldin, der 18-jährigen Angela, erzählt. Diese zeichnet leidenschaftlich gerne Comics und verliert sich in ihren Bildern. Sie träumt sich selber in ein Abenteuer im fernen Tokio hinein, wo sie als die Heldin gefährliche Situationen besteht, die ihre Sehnsüchte, Ängste und Widersprüchlichkeiten spiegeln. Oberg zeigt nur in den kurzen Anfangs- und Schlusssequenzen, wie die reale Angela in ihrem Zimmer aus dem Fenster schaut und zeichnet.

Wir erfahren nichts über ihr wirkliches Leben, alles was wir sonst sehen, ist ihrer Phantasie entsprungen, und gerade dadurch bekommt man einen sehr intensiven Eindruck von ihrer Gefühlswelt. Das attraktive Mädchen weiß, wie sie auf Männer wirkt und sucht noch den richtigen Weg, um damit umzugehen. In einem exklusiven Nachtclub animiert sie zwar die japanischen Gäste, bleibt dabei aber seltsam keusch, während die anderen Mädchen sich gänzlich entblößen und prostituieren. Durch ihre Unschuld und somnambule Passivität wird sie schnell zur Hauptattraktion des Clubs, und so muss sie lernen, auch mit den Attacken der anderen Mädchen umzugehen.

Wenn es dann doch zu einer romantischen Liebesszene kommt, ist diese Sequenz mit blendend weißem Licht so klinisch rein und körperlos inszeniert, dass man gerade hier die Unsicherheit und Angst des jungen Mädchens am deutlichsten spürt.

Die eigentliche Manga-Handlung besteht darin, dass die Heldin das Verschwinden einer russischen Bardame in der japanischen Halbwelt aufzuklären versucht. Aber auch dabei lässt sie sich nur durch die fremde Stadt treiben. Sie gerät in die Standardsituationen von Comic-Heldinnen, aber die einzige Waffen, die sie zückt, sind Stift und Papier, auf denen sie selber die Geschichte, in der sie spielt, weiterzeichnet. Die Hauptdarstellerin Chloé Winkel strahlt diese Traumverlorenheit in jeder Einstellung aus und dem Kameramann Michael Mieke ist es wunderbar gelungen, das moderne Tokio ganz und gar in die schwerelose Phantasielandschaft diese jungen Mädchens zu verwandeln.

Wilfried Hippen

Die Filmreihe „Brave New Girls“ läuft in dieser Woche im Kino 46/„Stratosphere Girls“ wird heute um 18 Uhr, Fr um 22.30 Uhr und So um 20.30 Uhr gezeigt