: Über den Rand hinaus
LITERATUR Die 36. Literarische Woche lenkt den Blick auf die Vorstadt. Ausgehend von dort entstehen neue Perspektiven auf das Verhältnis von Peripherie und Stadtzentrum
■ Die österreichische Autorin erhält den mit 20.000 Euro dotierten 58. Bremer Literaturpreis für ihren im letzten Jahr erschienenen Roman „Die Schmerzmacherin“. Streeruwitz schrieb zu Beginn ihrer Karriere vor allem Theaterstücke, bis sie 1996 ihren ersten Roman veröffentlichte. Seitdem schrieb sie auch zahlreiche Novellen und theoretische Schriften zu politischen und ästhetischen Fragen. Streeruwitz lebt in Berlin, Wien, London und New York.
von Anissa Brinkhoff
„stadtRAND+“ (sprich: Stadt Rand Plus) lautet das Thema der 36. Literarischen Woche Bremen. Die Betonung liegt auf „Rand“, um den üblichen Blick von Städtern nach „außen“ auf Vorortbewohner einmal umzudrehen. „Die Stadt ist Fokus und Lebensraum für viele. Wir wollten das mal aus der Perspektive von außen betrachten“, erklärt Erwin Miedtke, stellvertretender Direktor der Stadtbibliothek Bremen und Mitorganisator des Bremer Literaturpreises.
Der städtische Rand ist häufig Sinnbild für zweierlei: auf der einen Seite vernachlässigte, trostlose Vororte, von Armut, Arbeitslosigkeit und Kriminalität geprägt. Die andere Seite, der „Speckgürtel“: einheitliche Einfamilienhäuser, vorbildliche Vorgärten und das Gefühl, dass hier noch alles in Ordnung ist. Diesen Wahrnehmungen soll in der Literarischen Woche nachgegangen werden, jenseits von Klischees.
Keine anderen Vororte repräsentieren dabei das negative Bild besser als die Pariser Banlieues. Ein Kind dieser Viertel ist der französische Autor Azouz Begag. Als Soziologe und ehemaliger Minister für Förderung und Chancengleichheit hat er die Banlieues schon lange hinter sich gelassen, aber als Schriftsteller beschäftigt er sich bis heute mit der Situation der dort lebenden Menschen. Er gilt als Bindeglied zwischen den Vororten und der Großstadt. Am Dienstag, den 31. Januar finden eine zweisprachige Lesung und ein Gespräch mit Azouz Begag im Institut français statt. Den zweiten internationalen Beitrag liefert das Instituto Cervantes. Ebenfalls in einer zweisprachigen Lesung mit Gespräch stellt der spanische Autor Use Lahoz zwei seine Romane vor. Auch er thematisiert die Beziehung zwischen Ländlichem und Urbanem und den Personen, die diese Räume hervorbringen.
Im Mittelpunkt vieler Veranstaltungen stehen natürlich auch dieses Jahr die frischgebackenen Gewinner des 58. Bremer Literaturpreises. Preisträgerin ist Marlene Streeruwitz mit ihrem Roman „Die Schmerzmacherin“, der Förderpreis geht an Joachim Meyerhof für sein Romandebüt „Alle Toten fliegen hoch. Amerika.“ Beide lesen am 25. Januar um 20 Uhr im Neuen Schauspielhaus aus ihren Werken. Die offizielle Preisverleihung findet am Tag darauf, am 26. Januar um 13 Uhr in der Oberen Rathaushalle statt. Neu ist dieses Jahr, dass die Preisträger selbst zwei Autoren einladen dürfen, die sie dem Bremer Publikum vorstellen. „Gemischtes Doppel“ heißt die Veranstaltung am 26. Januar um 20 Uhr in der Zentralbibliothek, zu der Marlene Streeruwitz Ulrike Ukrich und Joachim Meyerhoff Astrid Rosenfeld eingeladen hat.
■ Den Förderpreis erhält Meyerhoffs Romandebüt „Alle Toten fliegen hoch. Amerika“. Die Jury schreibt, der Autor schaffe es, das Schicksal eines deutschen Austauschschülers in der amerikanischen Provinz „mit großem Witz zu erzählen und das komische Ungeschick der Jugend und die Trauer des Helden um seinen toten Bruder zu verbinden“. Meyerhoff ist Schauspieler und seit 2005 Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater.
Ausdrücklich eingeladen sind zur Literarischen Woche auch junge Leute: „Wir haben dieses Jahr 16 Veranstaltungen und fokussieren in vielen die jugendliche Zielgruppe“, erklärt Erwin Miedtke. So können Schulklassen an einer Lesung und einem Literatur-Workshop mit Förderpreisträger Joachim Meyerhoff teilnehmen. Ihre eigene Sicht auf „ihr Viertel“ präsentieren Schüler der Gesamtschule West mit Texten, Fotos, Filmcollagen und Raps am 1. Februar um 18 Uhr in der Zentralbibliothek.
Nicht in Worten, sondern in Bildern festgehalten hat der Bremer Fotograf Jan Meier die urbane und ländliche Übergangsidylle am Stadtrand von Bremen. „Zwischenorte“ heißt die Ausstellung, gezeigt werden Neubausiedlungen, Gewerbegebiete oder Büroparks, Orte, die vor allem Produktions- und Arbeitsstätten sind und ab den Abendstunden meist menschenleer sind. Meier hat versucht, die Besonderheiten dieser Zwischenorte, überraschende Architektur, Tristesse oder Skurrilität einzufangen. Die Ausstellung ist bis zum 18. Februar in der Zentralbibliothek zu sehen. Eine Führung durch die Ausstellung und zu thematisch passenden Werken aus der Graphotek bietet am 28. Januar um 14 Uhr der Kunstwissenschaftler Detlef Stein an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen