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Bett-Geschichten

Wir waren drin. Im heiß umstrittenen Bett der Polizei, als sie am vergangenen Freitag den Südflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs räumte. Ein Kontext-Team (Fotograf und Reporter) wurde in einer Besprechung auf den Einsatz vorbereitet, wartete mit den Polizisten im Mannschaftsbus und eilte mit einer Hundertschaft durch den Bahnhof bis hin zum Südflügel. Dort froren nicht nur die Demonstranten, sondern auch die anderen Kontext-Reporter, die sich vor Ort ein Bild machen wollten: eine ein- und ausgebettete Reportage

Der Online-Dialog

Selbstbestimmtes Einbetten Manchmal hilft es aber auch einfach einzugestehen, dass es keine runden Vierecke gibt: Embedded journalism jedoch ist so eine Quadratur des Kreises, eine gerade Kurve, die man nie und nimmer kriegen kann, weil es sie in der Realität nun einmal nicht gibt (höchstens als rhetorische Figur). Wenn man den Anspruch hat, möglichst nah an die Wahrheit zu gelangen und meint, dass bestimmte Informationen nur durch eine Art Einbetten zu erlangen sind, dann sollte man dies doch bitte, wenn schon, vielleicht besser so ähnlich praktizieren, wie beispielsweise ein Wallraff. Beim Einbetten ist es nämlich von entscheidender Wichtigkeit, ob man sich einfach nur flachlegen lässt, oder ob man Initiative, Selbstbestimmtheit und somit weitestgehend mögliche Objektivität bewahrt. (...) Canislauscher

von Sandro Mattioli (eingebettet) und Anna Hunger (nicht eingebettet)

Er sei gut vorbereitet, sagt der Mann und fasst sich an seinen Ohrhörer. Der Knopf im Ohr ist fast unsichtbar, nur das durchsichtige Kabel, das sich über den Hals des durchtrainierten Mannes legt, verrät ihn. Seit gestern sei er in Stuttgart, und überhaupt, er kenne den Einsatzort ja bereits von früher. Alles normal, alles ruhig, alles bestens geplant, macht der Polizist deutlich, ein Auftrag wie jeder andere. Und wenn man der Führer einer Hundertschaft ist, die mal Castorentransporte absichert, dann irgendwelche Großbaustellen, dann Nato-Veranstaltungen, die also immer dort ist, wo es gerade brennt, dann denkt man wohl automatisch so: Der eine Einsatz abgehakt, der nächste kann kommen. Der 30. September 2010 allerdings lässt sich nicht so einfach abhaken. Damals ging der Großeinsatz in Stuttgart brachial daneben. Erst in der Nacht zuvor war seine Hundertschaft angefordert worden, die Planung mangelhaft, Wasserwerfer spritzten Kinder und friedliche Bürger weg, der Rest ist bekannt. Das bleibt hängen.

Jetzt steht der Mann mit seiner Hundertschaft wieder hier, wieder in Stuttgart, wieder steht ein Polizeieinsatz an, und wieder geht es um den Bahnhof. Der Südflügel soll abgerissen werden, Demonstranten sind dagegen und haben sich vor dem Gebäude versammelt, das Gelände muss geräumt werden. Mit vier Bussen der städtischen Verkehrsbetriebe sollen die Polizisten zum Einsatzort gebracht werden. Der Busfahrer, der sonst Einkaufende und Pendler transportiert, hat eben den Schlüssel umgedreht, der Führer der Hundertschaft steht neben seinem Cockpit, doch der Startschuss wird nicht gegeben. Es ist 2.30 Uhr, eigentlich sollte der Tross sich jetzt in Bewegung setzen, sollten die zwei Motorräder losbrausen, um die Zuführungen zu den Straßen dichtzumachen, damit sich niemand zwischen die Busse drängt, sollte das Polizeifahrzeug den Autobuskorso anführen. Aber die Kolonne steht auf dem Parkplatz am Güterbahnhof in Cannstatt und fährt nicht los.

Eingebettet im Polizistenbus

Eben noch haben seine Männer und Frauen das Ein- und Aussteigen aus dem Bus geübt. Der dicke schwarze Schutzanzug mit der Schulterpanzerung und der Helm am Halfter machen das nicht gerade leichter. Nun warten die Beamten, es wird wenig gesprochen im Bus, allzu ernst wirken die Polizisten aber auch nicht. Die Beamten in der Hundertschaft sind ziemlich jung, die Bereitschaftspolizei ist die erste Station einer Polizeikarriere. Ein Bild-Zeitungs-Reporter hat sich, weiter hinten im Bus, an die Fersen einer Polizistin geheftet, um den geplanten Einsatz aus ihrer Perspektive zu berichten. Die Polizei will dieses Mal vieles anders machen als beim 30. September und vor allem besser.

Für den Nachmittag des 11. Januar, also zwei Tage zuvor, hatte die Polizeiführung eine Reihe von ausgewählten Journalisten zu einer Besprechung ins Präsidium gebeten, die sogenannten eingebetteten Reporter. In fremde Betten zu steigen ist nicht ungefährlich, manchmal sind die Konsequenzen schwer abzuschätzen. Wir beschlossen aber, uns den Chancen, die der tiefere Einblick möglicherweise bietet, nicht zu versagen, und gingen hin.

Am Eingang zum Versammlungsraum wartet der Polizeipräsident Thomas Züfle, er schüttelt jedem ankommenden Journalisten persönlich die Hand. Der Saal sitzt voll mit Menschen, obwohl die Polizei nur 18 Journalisten einbettet: Jeder Reporter hat einen persönlichen Betreuer zugeteilt bekommen, Pressesprecher der Polizei aus Stuttgart und Umgebung. Dazu sind die leitenden Kräfte des geplanten Einsatzes versammelt. „Wir wollen Sie nicht zensieren“, sagt Thomas Züfle gleich zu Beginn. Er bitte aber darum, nicht vor Beginn des Einsatzes über diesen zu berichten und die Sperrfrist einzuhalten.

Im Folgenden legt die Polizei die Planung des Einsatzes dar, der für den übernächsten Tag angesetzt ist. Was die Polizeiführung darstellt, deckt sich eins zu eins mit dem geheimen schriftlichen Einsatzbefehl. Die Transparenz der Polizei reicht freilich nicht so weit, dieses Papier an die Journalisten weiterzugeben. Die Kontext:Wochenzeitung hat es sich zu Kontrollzwecken aber vorher beschafft. Explizit heißt es darin: „Die Polizei setzt auf Deeskalation. (…) Defensive Handlungsalternativen – bis hin zu einem temporären Rückzug – sind als taktische Varianten einzubeziehen.“ Der Einsatz von Pfefferspray oder Schlagstock müsse mit dem Polizeiführer abgestimmt werden, außerdem solle jeder Polizeibeamte „eine möglichst deeskalierende Wirkung anstreben“.

In dem Dokument ist auch die „allgemeine Lage“ dargestellt. Wörtlich heißt es in diesem Papier: „Am 1. Oktober 2010 wurden unter heftigen Protesten mehrerer tausend Bürger die ersten Bäume im Schlossgarten gefällt. Die Polizei musste Wasserwerfer und Pfefferspray einsetzen.“ Wenn man weiß, dass die damalige Polizeiführung laut den Funkprotokollen des Einsatzes einen „sehr rustikalen“ und „sehr harten Einsatz“ in Kauf nahm und anordnete, die Stellung der Absperrgitter „konsequent“ durchzusetzen, liest sich dieser Passus zumindest doppeldeutig.

Über den nun geplanten Einsatz schreibt die Polizei: „Beim bevorstehenden Abriss des Südflügels muss damit gerechnet werden, dass rund 500 bis 1.000 Personen vor Ort sind bzw. kommen und die Aufstellung des Bauzaunes verhindern wollen. Dabei werden überwiegend Protestformen des ,zivilen Ungehorsams‘ im Vordergrund stehen, nicht jedoch Gewalttätigkeiten. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich Linksextremisten auf breiter Front an diesen Protesten beteiligen werden. Sie waren in der Vergangenheit lediglich in Ausnahmefällen an Aktionen der S-21-Gegner beteiligt.“

Zwei Tage nach der Versammlung, um ein Uhr in der Nacht zum Freitag, den 13. Januar, ist dann das Treffen der Eingebetteten vor dem Polizeipräsidium am Pragsattel. „Ich bringe Sie erst mal in die Kantine“, sagt Steffen Zaiser, der Pressesprecher der Bundespolizei. Dort gibt es Kaffee aus dem Automaten zu 70 Cent die Tasse – und man wartet. Nach einer halben Stunde ist dann Abfahrt. Die Journalisten werden zu den Sammelpunkten der Polizeieinheiten gefahren, zum Parkplatz beim Cannstatter Güterbahnhof, wo bereits die zwei Hundertschaften aus Bayern eingetroffen sind, und zu den drei anderen. Am Güterbahnhof geht das Warten weiter. Ein Großteil der Polizisten aus den zwei Hundertschaften sucht in den warmen Bussen Zuflucht vor der Kälte.

Es bleibt alles anders

Es ist dunkel und frostig am Fuß des Bahnhofturms. Ein paar Demonstranten spielen Fußball gegen die Kälte – und gegen die Zeit. „Warum hat eigentlich keiner einen Pickel und einen Hammer mitgebracht?“, fragt ein Mann mit Rauschebart und dicken Handschuhen. Dann hätte man der Bahn helfen und mit dem Abriss gleich selber anfangen können. „Nene“, sagt ein anderer, „das wär ja Sachbeschädigung, noch dazu in einem schweren Fall. Das Gebäude ist ja denkmalgeschützt.“ Galgenhumor an einem verdammt kalten und ein bisschen traurigen Rest-Protest-Abend.

In den Reihen des Protests herrscht vielleicht ein bisschen mehr Melancholie als sonst, weil deutlich weniger gekommen sind als erwartet und weil alle hier wissen, dass sie nur wenig Chancen haben. „Dass wir hier sitzen, ist eigentlich nur eine symbolische Handlung“, sagt eine eingemummelte Frau an der Tonne. „Wir können hier eh nichts mehr retten.“ Sie reibt sich die Finger, es ist zehn Uhr. Um kurz nach zwölf ist die Milch für den Kaffee alle, wenig später auch der Zucker. Der Atem gefriert zu kleinen Wölkchen.

Die Protestband Lokomotive spielt einen Marsch, zwischen Plastikgartenstühlen brennen in einer Tonne Holzscheite. Die Stimmung changiert zwischen Resignation und gespannter Erwartung. Irgendwann werden sie kommen, rund zweitausend Polizisten, die Leute hier wegräumen und rund um das Gebäude den Bauzaun hochziehen, den alle so hassen, weil er nach monatelangem Kampf ein erstes Sinnbild ist für das eigene Versagen.

Es zerbricht viel in diesen Tagen, nicht nur der Glaube daran, das Projekt noch stoppen zu können. Zwar sind es immer noch rund 600 Projektgegner, die in der Nacht von Donnerstag auf Freitag vor dem Südflügel sitzen, stehen und liegen, mit Fahnen, den obligatorischen Buttons, die Trillerpfeifen griffbereit. Aber sie sind leiser, aggressive Sprüche kaum zu vernehmen. Die Polizei wird kommen. Die Frage ist nur, wann. Um ein Uhr nachts? Um zwei? Um fünf? Bis dahin heißt es warten.

Es wird viel gewartet in dieser Nacht – die Demonstranten auf der Straße am Schlossgarten warten, die Hundertschaften an den Treffpunkten. Es ist also eigentlich wie immer, und doch hat sich etwas maßgeblich verändert: die klassische Ordnung – hier wir, dort ihr – ist abhanden gekommen. Auf einmal reden Parkschützer und Polizei miteinander. Und vonseiten der Polizei wird dezent deutlich gemacht, dass sie nicht länger den Ausputzer spielen will für Politik und Bahn.

Eine Gruppe baut Barrikaden aus Paletten, Plastikabsperrgittern und alten Möbeln. Spannung liegt in der Luft: Um drei, heißt es „aus sicherer Quelle“, werde es losgehen. Und um drei geht es tatsächlich los. „Die räumen das Zeltcamp“, brüllt einer und rennt mit fünfzig Mann im Gefolge in den Schlossgarten. Ein Trick, stellt sich schnell heraus, um möglichst viele Südflügelschützer in den Park zu locken. Als die Ersten es merken, ist es schon zu spät. Mit einer ausgeklügelten Choreografie schiebt sich die Polizei in Richtung Barrikade, im Hintergrund pfeifen sie, brüllen „Kretschmann weg“ und „Unser Bahnhof!“. Ein Beamter fräst den Bauzaun zum Grundwassermanagement auf, andere tragen Hamburger Gitter durch das Loch im Zaun auf die Straße, einer macht eine Durchsage: „Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie Ihre friedliche Versammlung außerhalb des Areals abhalten können“, sagt er. Es klingt geübt, gut gelaunt, wie eine Durchsage im Kaufhaus: „Die kleine Marie möchte gerne aus dem Kinderparadies abgeholt werden.“

Eine kostenlose Busfahrt

Die vier Busse der Stuttgarter Verkehrsbetriebe mit den zwei bayerischen Hundertschaften sind inzwischen am Ziel angekommen. Die Busse kommen hintereinander auf der Heilbronner Straße zu stehen. Ihre dick gepolsterten Passagiere springen die Treppe hinunter und eilen zugleich los, quer über die Straße, über den Grünstreifen und über den Parkplatz, vorbei an Taxifahrern, die neben dem Bahnhof an der Brache, die der Abriss des Nordflügels hinterlassen hat, auf Fahrgäste warten und verdutzt schauen.

Weiter geht es durch den Nordeingang, im Laufschritt im Gänsemarsch, so schnell, wie eine Bahnhofshalle es zulässt. Die Treppe unter dem Bahnhofsturm hinunter, durch die breite Eingangstüre und über die Straße. Es wirkt nicht hektisch, nicht aufgeregt. „Lauft! Lauft!“, feuerte der Chef seine Hundertschaft an. Dann gibt er Order, quer über die Schlossgarten-Straße verschränkt stehenzubleiben.

Damit endet dann auch der Einsatz als eingebetteter Reporter. Denn auf dem zu räumenden Gebiet können sich alle Journalisten frei bewegen. Während der gesamten Nacht, in der das Gelände vor dem Südflügel geräumt wird, ist keine einzige(!) Beschimpfung der Polizei zu vernehmen. Kein: „Bullenschweine!“ Nichts. Nicht einmal dem sich renitent gebenden Mann in der ersten Reihe der Sitzblockade, der gegen alles und jeden wettert („Kretschmann weg! Rechtsstaat weg! Systemzeitungen weg! Eingebettete Journalisten weg!“) kommt ein „Bullen weg!“ über die Lippen. Im Gegenteil. Als die Reihe an ihm ist, weggetragen zu werden, antwortet er in ruhigem Ton den beiden Beamten, die ihm sagen, er könne nun gehen, wenn er sich nicht wegtragen lassen wolle: „Wir haben unsere Arbeit getan, jetzt müsst ihr eure tun.“ Dann nimmt er seinen Schirm, steht auf und lässt sich von den Beamten Richtung Ausgang geleiten.

Das einzig Aufregende, was es aus der Einbettung zu berichten gibt, ist, dass sich fast die gesamte Hundertschaft noch einmal um 180 Grad drehen muss. Irrtümlicherweise stehen nämlich zwei Männer in der Reihe nebeneinander, beide den Blick gen Innenstadt gerichtet und damit in die gleiche Richtung, was das Prinzip des Reißverschlusses durchbricht. Und das ist doch eigentlich gar nicht schlecht. Das umstrittene Eingebettetsein, am Ende bestand es aus einer kostenlosen Busfahrt.

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