piwik no script img

Mit Misirlou um die Welt

Ein Lied kann ja nicht nur eine Brücke sein. Die Lieder sind doch selbst mobil und kommen herum in der Welt. Manche mehr und die anderen weniger. Das deutsche Wanderlied „Muss i denn“ beispielsweise ist so, trotz seiner in die Welt drängenden Textzeilen, eher sesshaft geblieben, selbst wenn mal ein Elvis Presley das mit dem „muss i denn zum Städele hinaus“ gesungen hat. Da hat das Lied halt mal Urlaub gemacht, drüben in der USA. Von einem migrantischen Hintergrund möchte man deswegen aber nicht sprechen.

Nicht so wenigstens wie bei „Misirlou“, das eigentlich bereits jeden Flecken dieser Welt gesehen, und das nicht nur im Touristenmodus. Im arabischen Raum ist man sich zum Beispiel von Marokko bis zum Irak ziemlich sicher, dass das Lied aus dem – natürlich jeweils ganz eigenen – Folkloreschatz entstammt. Dabei dürfte es in diesen Ländern wenig interessieren, dass anderen Informationen nach das Lied wohl 1927 erstmals in Athen gespielt wurde und es damit als erste Heimatadresse den griechischen Rembetiko angeben dürfte. Der Name des Komponisten, wenn es denn einen gegeben hat, ist unbekannt. Und dass bei den vielen Aufnahmen von „Misirlou“ in den Credits dann von einem Nick Roubanis zu lesen ist, liegt schlicht daran, dass der sich das Lied als seine eigene Komposition zuschrieb, als er es 1941 als Jazznummer herausbrachte.

Und „Misirlou“ machte Karriere. Im Easy Listening. Als Bauchtanz-Hit. Im Klezmer, immer schon eine Rumtreibermusik.

Eine feste Heimat hat das Lied aber dann vor allem in der Surf-Musik gefunden, Anfang der Sechziger, als es Dick Dale in die Finger bekam und daraus einen Marktplatz machte, auf dem sich diese an der Gitarre beschworene, orientalisch gestimmte Melodie mit den mexikanischen Mariachi-Trompeten traf. Wie das reinhaut, weiß jeder, der mal „Pulp Fiction“ gesehen hat, den Tarantino-Film, dem Dales „Misirlou“ das Tempo und die Stimmung vorgab. Aber bereits lange davor hatte sich das Lied als fester Surf-Standard etabliert, den eigentlich jede Surf-Band bis heute im Programm hat.

Und „Misirlou“ fühlt sich in dieser Umgebung wohl.

Eine ganz aktuelle „Misirlou“-Version stammt von den Jewrhythmics aus Tel Aviv, die sich an einen alten jiddischen Text zu dem Lied erinnert hat, wobei „Misirlou“ hier mal nicht als Surfbrett, sondern als Discokugel daherkommt, was überhaupt der Dreh dieses Trios ist: alte jiddische Gassenhauer und hebräisache All-Time-Hits wie „Hava Nagila“ ins Glitzerkostüm der Endsiebziger zu stecken. Auch das hält „Misirlou“ allemal aus. Hören kann man es am Montag im Lido, wo sich die Jewrhythmics präsentieren. THOMAS MAUCH

■ Jewrhythmics: Lido, Mo, 21 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen