: Austreten wegen Ratzinger?
Benedikt XVI. bereitet den Katholiken Kopfzerbrechen – kann man angesichts dieses Konservativen noch Mitglied der Kirche bleiben? Oder sollte man gar eintreten? Acht Positionen aus der Redaktion
Das wäre ja noch schöner!
Austreten wegen Ratzinger? Das wäre ja noch schöner. Dann hätten Ratzinger, Meisner und Co. ja erreicht, was sie wollen: Die katholische Kirche aus einer globalen Gemeinschaft solidarischer Brüder und Schwestern in eine Truppe von Strammstehern und Jasagern zu verwandeln – eine Herde, die entweder kuscht oder das Weite sucht. Natürlich bedeutet ein Papst Ratzinger für viele Katholiken eine schwere Prüfung ihres Glaubens. Aber Feigheit vor dem Ketzer-Hetzer ist der falsche Weg. Jetzt müssen weiterhin möglichst viele Gläubige möglichst oft und möglichst laut daran erinnern, dass es keine theologischen Gründe gibt für die Unterdrückung von Frauen, für die Verteufelung der Sexualität, für die Ausgrenzung anderer Christen und die autoritäre Ausrichtung der Weltkirche auf Rom. Sie müssen ihre Alternativen, ihre Art von katholischer Kirche, laut und fröhlich im Alltag leben und sich nicht durch den Papst vom rechten Weg abbringen lassen. Ganz im Gegenteil: Rom ist weit. Oder, theologisch gesprochen: „Schaut nicht hinauf, der Herr ist hier bei uns.“
BERNHARD PÖTTER
Ich bleibe katholische Karteileiche
Auch ich bin ein Sozialisationskatholik, war Ministrant und Stiftsschüler. Fand unseren Pfarrer toll. Weil er aussah wie der junge Horst Buchholz. Und weil man im Städtchen tuschelte, dass er was mit einem Mann hätte. Manchmal auch mit einer Frau. Später, als ich schon länger kein Ministrant mehr war, hab ich dann gemerkt, dass auch er bestenfalls ein Halbstarker ist. Einer, der zwar Protestanten zur Heiligen Kommunion lädt, aber eben auch einer, der gegen den Muff aus zweitausend Jahren allenfalls mit leisen Andeutungen protestiert. Wahrscheinlich hat auch er sich – wie im Übrigen meine Mutter, die an diesem Dienstag tatsächlich kurz verzweifelt war – einen anderen Papst gewünscht. Aber er wird diesen Mann des Intellekts akzeptieren. Was mich in der Frage meines römisch-katholischen Karteileichentums nicht wirklich weiterbringt. Der Konservative aus Oberbayern ist nun eben der shining star eines Apparates, der doch in sich ruhend ganz der alte geblieben ist. Wäre er ein Grund zum Kirchenaustritt, dann wäre es die Kirche an sich. Aber vielleicht reicht ja schon ein Halbstarker aus einer Kleinstadt, um eben doch irgendwie dabei zu bleiben. CLEMENS NIEDENTHAL
Raus aus dem Männerverein
Einmal Katholikin, immer Katholikin. Ab und zu teste selbst ich, ob ich das „Gegrüßet seist du Maria“ noch kann, trotz Kirchenaustritts vor Jahren. Gründe gibt es, der katholischen Kirche den Rücken zu kehren, vor allem, wenn man eine Frau ist. Denn dieser Hälfte der Menschheit gebührt aus klerikaler Sicht nicht die Hälfte des Himmels. Ihr Körper gehört nicht ihr, sondern der Verheißung. Zwischen der Frau und Gott wollen Männer vermitteln, die ihrerseits Röcke tragen. Deren Weisungen sind – so behaupten sie dreist, ohne es je zu belegen – weltlich gewordene Stimmen von Gott. JP2 hat daran keine Zweifel gelassen und Ratzinger hat sie, so es sie je doch gab, im Hintergrund ausgeräumt. Wer aber die Gleichberechtigung will, wer die Selbstbestimmung der Frau richtig findet, wer Freiheit auch als Freiheit der andersdenkenden Frau versteht, kann keine Organisation unterstützen, die Frauen in den Schatten der Männer stellt und den Mann zur Stimme der Frau macht. Das Vaterunser ist nicht unser Gebet. Verweigern sich Katholikinnen massenhaft der Kirche, wird diese sich ändern. Denn die Komplizenschaft der Frauen stützt das System, das sie gleichzeitig ausgrenzt.
WALTRAUD SCHWAB
Ich warte noch zehn Jahre
Es gibt ja die These, nachdem es mittlerweile kein lustvoller Tabubruch mehr sei, sich über das Intimste sexueller Vorlieben zu outen, finde man nun neuerdings einen neuen Reiz darin, das Intime des eigenen Glaubens in die Öffentlichkeit zu zerren. Unter diesem Vorbehalt: Wenige Tage vor der Wahl Ratzingers habe ich kurz überlegt, was ich eigentlich machen soll, wenn der tatsächlich Papst werden sollte. Der Recherche nach schien die Wahrscheinlichkeit zu steigen. Aber, zugegeben, ich habe nur kurz überlegt – und es dann schnell verworfen. Wenn, dann hätte ich schon vor Jahren wegen Johannes Paul II. austreten müssen. Sehr viel schlimmer kann es kaum werden, nur wahrscheinlich noch kälter. Ich beruhige mich zudem damit, dass Benedikt aufgrund seines Alters sowieso nur ein Übergangspapst sein kann. Etwa zehn weitere Jahre kann ich schon überwintern, man rechnet als Katholik ja in längeren Zeiträumen. Und eigentlich kann man ja nur noch positiv überrascht werden. PHILIPP GESSLER
Ich warte auf einen besseren Weg
Unser Dorfpfarrer hat gemeinsam mit meiner Oma aus mir ein irgendwie religiöses Wesen gemacht. Deshalb bin ich trotz mancher Zweifel nie aus der katholischen Kirche ausgetreten. Diese betäubenden Rituale, dieses ständige Sich-selbst-Geißeln und Gott-Bejubeln finde ich befremdlich. Aber ich wollte immer erst herausfinden, wohin ich stattdessen will. Und habe die Entscheidung so jahrelang vor mir her geschoben.
Jetzt habe ich über Wochen Kardinäle in Purpur gesehen, die alt, gebückt und grimmig schweigend den Kurs der Kirche bestimmen. Und verklärt strahlende Menschen, die sich von Gemeinschaft, Weihrauch, Charisma und Getöse hinreißen lassen wollen. Eine Kirche, die sich jetzt entschieden hat, genau dieses altertümlich-pompöse Antlitz beizubehalten und das antiquierte Weltbild von Johannes Paul II. weiterzuentwickeln. Dabei hatte ich gehofft, der stände mit seinen konservativen Pöbeleien für eine längst aus der Mode gekommene Seite der Kirche. Jetzt wird es über Jahrzehnte so weitergehen. Mir graut schon vor dem, was Benedikt XVI. in der ersten, zweiten und dritten Welt so loslassen und was er damit anrichten wird. Ich weiß immer noch nicht, wo sich mein religiöses Wesen zu Hause fühlen könnte. Aber in dieser Kirche sicherlich nicht. ANNE SEITH
Dann lieber ein Ikea-Sofa
Im Angesicht des bescheiden jubelnden Ratzinger kroch die verdrängte Frage praktisch von selbst aus dem tiefsten Innersten (Seele?) heraus und erhellte das dunkle Kreuzberger Wohnzimmer wie das Licht der Aufklärung.
Soll man, muss man jetzt nicht endlich selbstbestimmt handeln – und aus der katholischen Kirche austreten?
In einer Minute sprachen wir das übliche Dafür/Dagegen durch. Dafür: u. a. keine Lust, sich auf so lächerliches Niveau zu begeben wie die Frage, ob Jesus wollte, dass Frauen und Schwule usw. Dagegen: Schwachheit, Dummheit, Angst, Lethargie. Und die Kinder. Vor allem die! Na, diesmal ließen wir uns nicht ins Bockshorn jagen und entschieden relativ verbindlich, umgehend auszutreten. Das gesparte Geld investieren wir in ein Ikea-Sofa. (Hoffentlich liest meine Mutter das nicht.) PETER UNFRIED
Ein Angebot, das ich kaum ablehnen kann
Bei Licht betrachtet erweisen sich alle Weltreligionen im Kern als metaphysische Versicherungspolicen. Sie halten ihren Kunden zu Lebzeiten die lästigen „letzten Fragen“ vom Leib. Der Katholizismus macht da keine Ausnahme – aber ein attraktives Angebot, über dessen Annahme ich seit dem Tod eines guten Freundes nachdenke.
In einer Dorfkirche im erzkatholischen Sauerland sollte ein Ritual abgehalten werden, zu dem ich als aufgeklärter Konfessionsverächter sanft genötigt werden musste: der „Rosenkranz“. Hinter uns Hinterbliebenen stimmte „die Gemeinde“ ihre Litanei an, ein schläfriger Singsang war das, „gebenedeit bist du unter den Weibern“ und so weiter. Das war so langweilig und repetitiv und öde, dass jede veränderte Nuance in Text oder Tonlage wie eine Erlösung wirkte – es war die Urform musikalischer Epiphanie, mit der uns auch Bach oder Krautrock lustvoll einlullen. Der Verstorbene hatte ein Leben lang eingezahlt. Die Versicherung zahlte. Und dann stand da in Rom dieses Männlein über der Menge und singsang seinen Segen, mit purpurstolz geblähter Brust, wie ein frisch geschlüpfter Vogel bei seinem ersten Lied. ARNO FRANK
Wenn, dann schon hardcore
Ich werde auf gar keinen Fall austreten! Ich habe Kardinal Ratzinger die Daumen gedrückt und ich habe mich gefreut, als er Papst wurde. Denn ich bin der Meinung: Wenn schon Papst, dann aber auch hardcore – sonst kann man sich das Ganze doch gleich komplett sparen. Auf dem katholischen „Bischöflichen Demoisellen Lyceum“ in Münster hat man mich damals ordentlich das Fürchten vor allerlei Göttlichem und Höllischem gelehrt. Und ich möchte bitte schön nicht meine halbe Kindheit in Angst verbracht haben, nur damit jetzt irgendein liberaler Papst daherkommt und mir erzählt: „Hahaha, ist doch alles in Wirklichkeit gar nicht so schlimm.“ Dann würde ich mich angeschmiert fühlen und meine ganze Angst von früher wäre komplett umsonst gewesen.CORINNA STEGEMANN
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