piwik no script img

christin christa und die löwen von WIGLAF DROSTE

Was haben Joseph Ratzinger und ich gemeinsam? Beide tragen wir gutes Schuhwerk, beide schreiben wir Bücher, und beide glauben wir nicht an Gott. Das war es dann aber auch schon – Ratzinger, der seit dem Abend des 19. April 2005 unter dem Pseudonym Benedikt der XVI. publiziert, möchte, ich zitiere seine Antrittsrede, als „einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn“ durchgehen. So ein Unsinn, und schade eigentlich, dass Ratzinger seinen neuen Job als Papst mit einer Lüge beginnt. Er kann aber wohl nicht anders, die Gewohnheit hat ihre Macht.

Vor fünf Jahren erschien Ratzingers Buch „Gott und die Welt“. Ratzinger ließ sich vom Verlag als „einen der größten christlichen Gelehrten seit Thomas von Aquin“ und als „Führer des Weltkatholizismus“ feiern. Ein „einfacher, demütiger Arbeiter“ – was immer Unangenehmes das sein soll – operiert anders. Hatte Ratzinger bei seiner päpstlichen Jungfernrede vielleicht den Weinberg mit dem Weinkeller des Herrn verwechselt?

Nein, und das wäre ja auch zu schön. Fast 25 Jahre lang war Ratzinger Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, ein Wächter über die Reinheit der katholischen Lehre, ein Linienpolizist und Spitz-pass-auf. Seine Verpapstung rief auch Christa Nickels auf den Plan. Die bündnisgrüne Christin findet Ratzinger ganz, ganz schlimm, denn Ratzinger verdirbt Frau Nickels den Spaß am Gläubischsein. Bei Ministranten sind traditionell die Vertreter der Kirche von hinten gefürchtet – aufgeklärte Erwachsene schlägt man mit Kirche von unten in die Flucht. Die Steigerung des Christen ist der kritische Christ: Anstatt den Kirchenunfug einfach liegen zu lassen, heult der Besserchrist sich über die Kirchenführung aus. Problematisch ist aber nicht Ratzinger oder ein anderer Kirchenführer, sondern jeder, der um den Preis seines Kopfes unbedingt glauben will. Wer Christa Nickels zuhört, ahnt, warum es Löwen gibt.

Als Agnostiker bin ich erleichtert, dass endlich ein Papst gewählt wurde – eben weil das Vollgepapstetwerden damit ein Ende haben möge. Ohne einen Hauch von Barmherzigkeit und Gnade nutzten die Katholiken die günstige Gelegenheit, den größten Werbefeldzug ihrer jüngeren Geschichte durchzuziehen. Der Vatikanfirma Stellvertreter & Co. kann man das nicht ankreiden; dass aber sämtliche Medien zu Werbeträgern und Wirtstieren eines parasitären Katholizismus konvertierten, machte die Angelegenheit so penetrant und ermüdend. Kostenfrei und rund um die Uhr wurde die Werbung für die Marke Katholizismus gesendet, gedruckt und in den Äther georgelt, distanzlos wurden Strategie und Propaganda des Urbi-et-Orbi-Konzerns übernommen. Und hinterher jammern dieselben Leute: O je, alles für den Ratz!

„Wir sind Papst!“, orgelte Bild am 116. Geburtstag Adolf Hitlers in dicken Lettern – auf der Internetseite des Blattes für Blut, Sperma und Nationalismus fand sich unter der Meldung von der Papstwerdung der Deutschen die Ankündigung: „Seite-1-Girl: Ich zeig dir meine Airbags.“ Da hatte die „Diktatur des Relativismus“, die Ratzinger auch als Benedikt XVI. anprangern wird, mal den Richtigen erwischt. Was aber wird das christliche Luftkissenboot Christa Nickels dazu sagen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen