White Negros, Tight-at-the-Ankle-Jeans, Pac-Man, Krautrock, die Friends und die wilden Frauen: Nina Pauer hätte sich das nicht getraut
VON MICHAEL BRAKE
Mark Greif. Ach. 2003 hatte der ja wirklich noch Edge. Aber jetzt, wo ihn jeder kennt, ich weiß ja nicht. Tatsächlich sind so viele Leute ins HBC gekommen, dass ein Drittel keinen Platz mehr findet und im Foyer bleiben muss, dort, wo auch ein tarnfarbener Flügel mit Riesenreifen steht, der aus einem Mad-Max-Film, na ja, der schlechten Kopie eines Mad-Max-Films stammen könnte – doch ich schweife ab.
Eigentlich sind wir hier, um den Harvard-Yale-Oxford-Absolventen zu sehen, der als Letzter kommt, seine Winterjacke erst auf der Bühne auszieht und ein Buch über Hipster geschrieben hat. Aus dem aber nicht gelesen wird, sondern diskutiert. Über den Hipster.
Dazu sind neben Mark Greif noch mehrere DJs da, die nebenbei als Popjournalisten arbeiten bzw. umgekehrt: Ein Thomas Meinecke, der es natürlich schafft, in jedem Redebeitrag eine jahrzehntealte Platte unterzubringen. Ein Tobias Rapp, der die ganze Zeit so aussieht, als wäre ihm das hier alles furchtbar unangenehm. Und ein Jens-Christian Rabe, der irgendwie die falschen Drogen genommen zu haben scheint und überhaupt eher wenig sagt.
Es geht um Trucker Caps, White Negros, Johnny Otis, Vespa-Gangs, Boot-Cut- und Tight-at-the-Ankle-Jeans, Bands mit Tiernamen, Raumeroberungen, Suburbia, Bohemia, et cetera. Und ich muss darauf achten, immer nur dann zu husten, wenn alle gerade lachen, zum Glück hat Mark Greif Entertainer-Qualitäten. Erkenntnisse: Der Hipster ist der coole Bruder des Touristen (Rapp). Der Hipster ist seiner Zeit voraus, zumindest 20 Minuten (Rabe). Der Hipster ist die Zombie-Version der klassischen Subkultur (ein Zuschauer). Und: Hipster, das sind immer die anderen. So ähnlich wie Spießer, jeder weiß, was gemeint ist, aber niemand würde sich selbst so bezeichnen. Als Greif am Ende zum Hipster-Selbstbekenntnis aufruft, meldet sich eine Person.
Am Abend davor
Am Abend davor war ich im Antje Øklesund. Wegen Camera. Camera sah ich das erste Mal samstagnachts auf dem Musiker-Babystrich an der Warschauer Brücke und verliebte mich sofort in den Schlagzeuger. Er ist heute auch wieder da, aber vorher ist Helmut dran. Helmut ist eher so Singer/Songwriter, klanglich die Kings-of-Convenience-Schiene. Vor sich hat er einen Elektronikzoo aus Loop-Maschinen ausgebreitet und spielt siebenstimmig mit sich selbst. Das ist ganz gut, aber es ist auch sehr voll, also schaue ich mir lieber die Exponate des angeschlossenen Instituts für Krimskrams an. Leider gibt es erst fünf: eine Knallpumpe, ein Stück Rohr, einen Kochlöffel (halb kaputt), einen Korken „Moet Chandon Sibel1“ und ein Pac-Man-Geist-Plüschtier, Farbe: OR 3 (Seife), Material: MI 4 (schaumig weich). Um eigenen Krimskrams einzureichen, muss man einen Antrag ausfüllen und dort Angaben über ÄAW (Ästhetische Außenwirkung), PBF (Persönlicher Bedeutungsfaktor) und hundert andere Dinge machen.
Dann aber Camera, Instrumentalkrautrock, so ganz alte Schule. In 75 Minuten spielen sie vier Stücke und gucken achtmal ins Publikum (zusammen). Der Schlagzeuger, die geile Sau, braucht nur eine Bassdrum, eine Snare, ein Becken und einen Schellenring für so viel Druck wie hundert Senkrechtstarter. Er spielt im Stehen. Eine Frau, die neben mir steht, nimmt mir ungefragt die Zigarette aus der Hand, zieht daran, gibt sie mir wieder.
Nina Pauer hätte sich das nicht getraut. Sie hätte darauf gewartet, dass ich ihr selbst eine Zigarette anbiete, und wäre am Ende leise schluchzend durch den Schnee nach Hause gestapft. Obwohl, immer noch besser, als Fotos von ebenjenem Schnee auf Facebook zu stellen, wie ungefähr die Hälfte meiner Friends. Nur weil auf einmal Winter ist.
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