GERHARD DILGER ÜBER STREIKENDE POLIZISTEN IN BRASILIEN: Achillesferse Sicherheitspolitik
Die Protestbewegung der brasilianischen Polizisten ist zwar längst nicht zu Ende. Allerdings scheint zumindest in Bahia die Politik wieder die Initiative zurückgewonnen zu haben. Einiges spricht dafür, dass in der malerischen Hafenstadt Salvador der Straßenkarneval nun doch weitgehend wie geplant über die Bühne geht.
Gut zwei Jahre vor der Fußball-WM in Brasilien wirft der Konflikt ein Schlaglicht auf die skandalösen Verhältnisse in Sachen innerer Sicherheit, die in vielen Bundesstaaten herrschen. Unterbezahlte und vielfach korrupte Polizisten tragen zur wuchernden Gewaltkriminalität ebenso bei wie ein ineffizientes Justizsystem. Mit rund 50.000 Mordfällen pro Jahr lässt Brasilien so manches Kriegsgebiet hinter sich. Diese Gewalt trifft vor allem Arme: Drei von vier Todesopfern sind Afrobrasilianer.
Patentrezepte gibt es dagegen nicht, zumal die innere Sicherheit ebenso wie die Bildung vor allem Sache der Bundesstaaten ist. Während in den Nullerjahren die Mordrate in Rio de Janeiro um 43 Prozent und in São Paulo sogar um 63 Prozent zurückging, verdreifachte sie sich in Bahia und anderen Staaten des Nordostens – und das, obwohl gerade dort Wirtschaftswachstum und Sozialprogramme zu einem bemerkenswerten Rückgang der Armut führten.
Immer noch viel zu selten, wie etwa bei der prestigeträchtigen Einführung der Gemeinschaftspolizei in den Favelas von Rio, arbeiten die Entscheidungsträger auf den verschiedenen Verwaltungsebenen gedeihlich zusammen. Sicherheitspolitik bedeutet das Bohren dicker Bretter, spürbare Verbesserungen, zumal vor Wahlen, lassen sich nur selten erzielen. Ob der Konflikt in Salvador und vor allem die bevorstehenden Großevents WM und Olympia nun doch dazu führen, dass dem unbequemen Thema oberste Priorität eingeräumt wird?
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