LESERINNENBRIEFE :
■ betr.: „Ist Daniel Kehlmanns Kritik am Regietheater berechtigt?“, taz vom 1./2. 8. 2009
Unerträgliches Theater
Als politisch Linker kann ich diese Frage nur mit einem vollem Ja beantworten! Man braucht da nur die hamburgische Staatsoper und das baden-württembergische Staatstheater Stuttgart als Beispiel nennen! Das württembergische Staatstheater hat in den letzten zwanzig Jahren weit über die Hälfte an Abonnenten verloren, es lebt zum weitaus überwiegenden Teil von Touristen, was auch für die Hamburgische Staatsoper gilt, die in der letzten Zeit wieder anfängt, Regisseure zu verpflichten, die wieder normal inszenieren. Weitere Beispiele sind die Neuinszenierungen von Verdis „Aida“ und Wagners „Fliegender Holländer“ an der Deutschen Oper Berlin! Die Aida wurde nach ein paar Aufführungen aus dem Spielplan genommen, dem „Fliegenden Holländer“ droht dasselbe, da in den letzten Vorstellungen nur etwa 230 Plätze besetzt waren und das in einem Haus mit über 1.900 Sitzplätzen! Der „Maskenball“ in der Lindenoper ist ebenfalls unerträglich! Regisseure wie Harry Kupfer, Götz Friedrich, Nikolaus Lehnhoff, David McVicar, Luc Bondy, Graham Vic oder Irina Brook haben gezeigt, dass man sowohl mit modernen Inszenierungen klassischer Opern als auch mit szenischen Neudeutungen klassischer Opern herrlich traditionelles Operntheater machen kann.
Traditionelles ist deswegen nicht gleich schlecht, und modernes Zeitgemäßes ist deshalb nicht immer gleich gut! Wenn ich im Theater, ob in der Oper oder im Schauspiel die Hässlichkeiten des derzeitigen Alltages vorgesetzt bekomme, da kann ich auch den Fernseher einschalten und ein sozialkritisches Fernsehspiel ansehn (ist billiger) oder das Abschiebegefängnis Köpenick aufsuchen und Abschiebehäftlinge betreuen! MICHAEL KLEIN, Berlin
■ betr.: „Ist Daniel Kehlmanns Kritik am Regietheater berechtigt?“
Schmerz, bis der Genuss eintritt
Kehlmann outet sich nicht nur als Nichtkenner, er ist eben auch ein noch recht junger Mensch. Ich unterrichte Drama und Theater für Studierende, und meine Erfahrung ist genau diese. Meine Studierenden können also etwas stolz sein, dass sie so denken wie der berühmte Jungautor. Meine Studierenden kommen mit Vorstellungen von „textgetreuer“ Inszenierung ins Theater und ins Seminar und können nun etwas anderes lernen – wenn sie möchten. Dazu gehört es, seine Sehgewohnheiten zu erweitern. Das hört sich verlockend an, ist aber erst einmal schmerzhaft, bis der Genuss eintritt. Wenn man sich dem verweigert – ist ja eh alles Quatsch –, passiert eben nichts im Kopf. Ich kann ja erst beurteilen, was ich verstehe. Und für das sogenannte Regietheater heißt das, dass man das Drama gut kennen müsste oder zumindest für neue Fragen offen sein müsste (gilt auch für „normale“ Inszenierungen, aber da wird es nicht so deutlich). Aber auch ohne Textkenntnis sollte eine Inszenierung erschließbar sein, dann müsste man lernen (was für die meisten am schwierigsten ist), ein partielles Nichtverstehen zu akzeptieren.
Die Generationen von Theaterbesuchern wachsen dabei immer wieder neu heran, und, so wie ich es erlebe, macht jede ähnliche Entwicklungen durch, stellt jede ähnliche Fragen. Da hat Kehlmann also noch gleichermaßen schöne und schmerzhafte Erfahrungen vor sich. Wünschen wir ihm viel Vergnügen dabei. PETRA MEURER, Dortmund
■ betr.: „Tauziehen um den Siedlungsbau“, taz vom 28. 7. 09
Apartheid und Genozid
Wenn ich den Satz von Netanjahu lese, „… was es für einen Aufschrei gäbe, wenn jemand vorschlagen würde, Juden dürften in bestimmten Vierteln in New York, London, Paris oder Rom nicht leben“ und in Israel solle „jeder überall bauen und wohnen dürfen“, dann wird mir nur noch schlecht! Denn, wie im Buch von Susan Nathan nachzulesen ist, sind nach fünf Jahrzehnten einer aggressiven Konfiskationspolitik gegenüber den palästinensischen Bürgern des Landes nunmehr 93 Prozent der Fläche Israels im Besitz des Staates oder des jüdischen Nationalfonds. Dieses Land wird ausschließlich für die Ansiedlung von Juden verwendet. Das übrige israelische Staatsgebiet, 7 Prozent (!), ist in jüdischem oder arabischem Privatbesitz. Dennoch ist ein großer Teil der drei Prozent Land in arabischem Besitz der Rechtssprechung jüdischer Regionalräte unterstellt worden, die Arabern keine Genehmigung für irgendeine Art der Entwicklung erteilen. So leben viele Palästinenser ohne Wasser und Stromanschluss, weil die israelische Regierung hofft, dass die Menschen aufgeben und wegziehen. Ein israelisches Gesetz besagt auch, wenn man sein Land nicht pflegt, bewohnt und verwaltet, kann man enteignet werden. Fazit: Viele Palästinenser werden durch „Vorschriften“ daran gehindert, ihr Land zu pflegen, indem man ihnen die Zufahrtswege wegnimmt oder mit Bäumen bepflanzt und dann folgt oben genannte Konsequenz.
Israel betreibt Apartheid und Genozid am palästinensischen Volk seit 60 Jahren und ich meine, dass auch die Deutschen diese Politik inzwischen kritisieren dürfen und sollen, zumal, wenn man den gnadenlosen Mauerbau um Palästina mit weiterer Beschlagnahmung von Land und die mehr als aggressive Sieldungspolitik berücksichtigt! MONIKA KLAIBER, Weilheim
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen